Philipp Otto Runge
Die Lehrstunde der Nachtigall,
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Philipp Otto Runge

Die Lehrstunde der Nachtigall,

Philipp Otto Runge

Die Lehrstunde der Nachtigall

Das Blatt zeigt erstmals die Komposition als Oval wie im ausgeführten Gemälde (Anm. 1), doch fehlt noch jeglicher Bezug zur Landschaft. Psyche sitzt anstatt auf einem Hocker auf den Stufen einer Treppe vor einem neutralen Hintergrund, der den Reliefcharakter verstärkt. Insgesamt ist die Komposition gegenüber Inv. Nr. 1926-130 weniger hochrechteckig ausgefallen, vielmehr passt Runge die Komposition in das Rund des Ovals so ein, dass Amor nur noch wenig erhöht erscheint. Beider Haltungen haben sich dahingehend verändert, daß Amor, der auf Inv. Nr. 1926-130 der zweiten Version des „Triumph des Amor“ entstammt, nun auf Psyches ausgestreckter Hand nahezu auf „Augenhöhe“ kniet, während sie mit zurückgestelltem linken Bein auf den Treppenstufen hockt.
Traeger hat in der als fingiertes Relief ausgeführten Zeichnung auf die Verwandtschaft mit der zweiten Fassung des „Triumph des Amor“ hingewiesen (Anm. 2) und deshalb angenommen, dass das Blatt in die frühe Phase von Runges Beschäftigung mit Klopstocks Ode gehört (vgl. Inv. Nr. 1926-130). Vor allem in den präzise geführten Schlagschatten, die das von links einfallende Licht verursacht, ergeben sich Parallelen zu Inv. Nr. 34239, doch klingen in der ausgesprochen prononciert vorgetragenen Plastizität der Figuren auch frühe Werke wie die in Kopenhagen entstandene „Hl. Familie“ an (vgl. Inv. Nr. 34245). Das Blatt zeigt gegenüber den anderen Figurendarstellungen einen insgesamt klassizistischeren Charakter, der auf eine frühere Entstehung als Inv. Nr. 1926-130 deuten könnte. In Technik und Stil schließt das Blatt an die zweite Version der „Heimkehr der Söhne“ an (vgl. Inv. Nr. 34218), wo Runges Schwester Ilsabe Dorothea Helwig in ähnlicher Haltung erscheint.
Auch hat Runge möglicherweise zunächst an keine Rahmung gedacht, sondern an eine Darstellung, die den Charakter als fingiertes plastisches Relief im Sinne eines Trompe-l’oeils betont. Der starke Schlagschatten rechts, der auf den anderen Darstellungen fehlt, könnte für eine solche Annahme sprechen. Psyche ist im Sinne eines plastischen Reliefs in strenger Profilansicht gegeben, auf dem jegliche räumliche Vorstellung vermieden wird, „es wirkt auf den Beschauer gemmenhaft.“ (Anm. 3) Der Gedanke des Reliefs wird offensichtlich erst in den anderen Zeichnungen nicht weiter verfolgt, sondern durch das Bild in der Rahmung ersetzt.

Peter Prange

1 Die Lehrstunde der Nachtigall, erste Fassung, Öl/Lw, 103 x 84 cm, ehemals Hamburger Kunsthalle, 1931 im Münchner Glaspalast verbrannt, vgl. Traeger 1975, S. 335-336, Nr. 248, Abb.
2 Triumph des Amor, Öl/Lw, 66,7 x 172,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 2691, vgl. Traeger 1975, S. 328-329, Nr. 233, Abb.
3 Böttcher 1937, S. 146.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Verso Mitte unten bezeichnet: "Lehrstunde der Nachtigall / Dresden 1801-3" (Bleistift); unten links nummeriert: "9" (Bleistift; um 90 Grad gedreht)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"C & J HO[NIG]/ IV"

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 107, Nr. 495 m1/9.: " 1/9 . 9 Bt. Lehrstunde der Nachtigall. Dresden 1801-3. ... 7, anscheinend erste Idee zu demselben: Psyche den geflügelten Knaben auf der Hand, auf Stufen kniend (Basreliefartig, in einem Oval) Tusche. fol."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

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Johannes Grave: Runges Poetologie der bildlichen Darstellung. Überlegungen zur Lehrstunde der Nachtigall, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.163, Taf. 5

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.120, 385, Nr.76, Abb.

Pauline Kintz: Alles was wir sehen, ist ein Bild. Philipp Otto Runge in het licht van de vroeg-romantische poezietheorie van Friedrich Schlegel en Novalis, Delft 2009, S.260, Abb.13.17 auf S. 261

Inge Grolle: Die Geburt der Romantik aus dem Geist der Klassik. Zur künstelerischen Entwicklug von Philipp Otto Runge, 2004, S.84, Abb.

Edda Hevers: " ... daß die Elemente der Kunst in den Elementen selbst nur zu finden sind". Innere und äußere Natur in Philipp Otto Runges Lehrstunde der Nachtigall, in: Kunst. Die andere Natur, hrsg. von Reinhard Wegner, Göttingen 2004, S. 34-50, S.36, 40, Abb.2 auf S. 37

Markus Brüderlin: Die Einheit in der Differenz: die Bedeutung des Ornaments für die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts. Von Philipp Otto Runge bis Frank Stella, Mikrofiche 1995, S.142, Abb.6/II

Timothy F. Mitchell: Art and Science in German Landscape Painting 1770-1840, Clarendon Studies in the History of Art, Bd. 11, Oxford 1993, S.85, Abb.3.5 auf S. 86

Cornelia Vagt: Gerdt Hardorff d.Ä. und sein Werk. Monographie und Katalog, Kiel, Univ., Diss. 1984, S.105

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Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.165, Nr.130, Abb.S. 164

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Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.79, 109, 148-149, 331, Nr.237, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

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Gunnar Berefelt: Verzierungen mit Einsicht und Sinn. Notizen um Philipp Otto Runge, in: Konsthistorisk Tidskrift 41, Stockholm 1972, S. 81-94, S.93, Anm. 6

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969, S.277

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.153, 222, 234, Abb.162

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.16, Nr.88

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.146, 298, Nr.2, Abb.Taf. 11

Romantik im deutschen Norden. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e.V., Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1937, Nr.24

Paul Ferdinand Schmidt: Philipp Otto Runge. Sein Leben und sein Werk, hrsg. von Karl Scheffler, Curt Glaser, Deutsche Mesiter, Leipzig 1923, Abb.o. S.

Gustav Pauli: Ausstellung von Hamburgischen Zeichnungen der guten alten Zeit, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1922, S.11, Nr.26

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.31, Nr.35, Abb.Taf. 5

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.44; 48

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.224