Philipp Otto Runge
Der Morgen (Konstruktionszeichnung zum Gemälde "Der kleine Morgen", erste Fassung), 1808
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Philipp Otto Runge

Der Morgen (Konstruktionszeichnung zum Gemälde "Der kleine Morgen", erste Fassung), 1808

Philipp Otto Runge

Der Morgen (Konstruktionszeichnung zum Gemälde "Der kleine Morgen", erste Fassung), 1808

Runges erste Beschäftigung mit dem Thema der "Vier Tageszeiten" geht auf den Entwurf einer bereits ab 1802 geplanten Zimmerdekoration zurück, deren Motive er auf Anregung von Ludwig Tieck 1805 in einer kleinen Auflage von 25 Exemplaren in Dresden stechen ließ. Johann Gottlieb Fichte war von den Motiven tief ergriffen, Tieck sah sie als Beginn einer neuen Kunst, und Goethe, der 1806 durch Runge eine Folge als Geschenk erhalten hatte, äußerte sich begeistert und hängte sie in seinem Haus am Frauenplan in Weimar auf. 1807 folgte aufgrund der euphorischen Aufnahme der Blätter eine zweite, mit 250 Exemplaren wesentlich höhere Auflage durch den Hamburger Verleger Johann Friedrich Perthes.
Der Künstler erläuterte die "Zeiten" auf die für ihn typische geheimnisvolle Weise: "Der Morgen ist die gränzenlose Erleuchtung des Universums. Der Tag ist die gränzenlose Erleuchtung der Creatur, die das Universum erfüllt. Der Abend ist die gränzenlose Vernichtung der Existenz in den Ursprung des Universums. Die Nacht ist die gränzenlose Tiefe der Erkenntnis von der unvertilgten Existenz in Gott. Diese sind die vier Dimensionen des geschaffenen Geistes. Gott aber würket alles in in Allem; wer will gestalten, wie Er den Geschaffenen berührt." (Runge 1840, Bd. 1, S. 82). Zusammengefasst sind in den "Zeiten" die vier Tages- und Jahreszeiten, die menschlichen Lebensstationen sowie die Natur-, Menschheits- und Religionsgeschichte symbolisch aufeinander bezogen: einerseits in der einfachen, zeitlichen Abfolge des Morgens zur Nacht, gleichzeitig aber als dualistischer Entwicklungsprozess zwischen Geburt und Tod. Alle diese Kreisläufe finden ihre Erfüllung im göttlichen Licht, das über allem schwebt.
Die "Zeiten" gehören zusammen mit der Farbtheorie zu den programmatischen Schwerpunkten von Runges Kunst. Ausgehend von den Stichen, verfolgte er bis zu seinem frühen Tod das Ziel, die "Zeiten" auch als farbige Gemälde zu realisieren. Der "Kleine Morgen" und der "Große Morgen" von 1808/09 bilden den Anfang dieses großangelegten, doch nie zur Zufriedenheit des Künstlers vollendeten Vorhabens (Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1016, 1022).
Die ausgestellte Pinselzeichnung ist ein weit ausgeführter Konstruktionsentwurf für das Gemälde des "Kleinen Morgen". Sie legt die Gesamtordnung des Bildes fest, stimmt aber nicht in allen Details mit der Ölfassung überein. Im Mittelpunkt steht Aurora, die Göttin der Morgenröte, umgeben von Genien mit Rosen in den Händen, die ein am Boden liegendes Kind verehren. Aurora wird so zur Maria, das Kind zum Jesusknaben. Die Lichtlilie (vgl. Kat.-Nr. XX), die die aufgehende Sonne und das Göttliche symbolisiert, gipfelt hier in drei stehenden Genien, die bereits in einem zweiten Konstruktionsentwurf durch Cherubsköpfe ersetzt wurden (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett; Ausst.-Kat. Hamburg 1977, S. 211, Nr. 185).
In der in Grisaille ausgeführten Lavierung des Blattes, welche die Figuren in verschiedenen Dunkelwerten nur silhouettiert und transparent vom Grund abhebt, offenbart sich Runges Beschäftigung mit dem Scherenschnitt. A. S.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unterhalb der unteren Rahmenleiste mit Lineal und Feder in Braun ein Maßstab; rechts daneben ausradierte (?), unleserliche Beschriftung

Unter dem Maßstab von der Hand Daniel Runges (?) datiert: "1808" (Feder in Braun); unten rechts von der Hand Daniel Runges bezeichnet und datiert: "Original von Philipp Otto Runge 1808" (Feder in Grau)

Wasserzeichen / Kettenlinien

"J Honig & Zoonen" und " Honig J H & Z"

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz der Witwe Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856; Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

150 Jahre Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hamburger Abendblatt, 2019, Abb.14

Kunst aus acht Jahrhunderten, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Freunde der Kunsthalle e.V., Hamburg 2016, S.308, Abb.

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.162, 188, 192, 388, Nr.116, Abb., Abb.S. 168

Thomas Lange: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges, Berlin. München 2010, S.232, Abb.Taf. 32 auf S. 163

Lange, Thomas: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges (1777-1810), München 2006, S.288, Abb.106

Annabelle Görgen, Rainer Müller-Tombrink, David Klemm: und Hamburger Kunsthalle: Sternenwege. Ein kosmischer Gang durch die Sammlung - Parcours, 2005, S.10-11, Abb.

Peter Prange, Petra Roettig, Andreas Stolzenburg u. a.: Von Runge bis Menzel. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2003, S.20, Nr.5, Abb.S. 21

Peter Prange, Petra Roettig, Andreas Stolzenburg u.a.: Ideas on Paper. 100 Masterdrawings from the collections of the Hamburger Kunsthalle (in griech. Sprache), hrsg. von Marilena Cassimatis, Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Athen, Nationalgalerie 2003, S.186, Nr.78, Abb.

Licht und Dunkel. Zum 200. Todestag von Novalis, Ausst.-Kat. Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt 2001, S.21, Abb., 119, Abb.3

Faszination Venus. Bilder einer Göttin von Cranach bis Cabanel, hrsg. von Mai, Ekkehard, Wallraf-Richartz-Museum Köln 2000, Abb.S. 19

Hanna Hohl, Hermann Mildenberger, Hinrich Sieveking: Franz Theobald Horny. Ein Romantiker im Lichte Italiens, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Hamburger Kunsthalle 1998, Abb.S. 9

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge. Die Zeiten - Der Morgen, hrsg. von Uwe M. Schneede, Hamburg 1997, S.40, 47, Abb.27 auf S. 34

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Jean-François Poirier: La peinture romantique allemande, hrsg. von Centre National de Documentation Pédagogique, Actualité des arts plastiques, Bd. 83, Lieusaint 1991, Abb.S. 40

Freiheit- Gleichheit- Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland, hrsg. von Gerhard Bott, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1989, S.512, Nr.418, Abb., Abb.S. 512

Helmut R. Leppien: Philipp Otto Runge (1777-1810). Die Hülsenbeckschen Kinder (1805/06), in: 100 Meisterwerke aus den großen Museen der Welt, hrsg. von Wibke von Bonin, 1987, S. 140-145, Abb.S. 142

Hanna Hohl: Philipp Otto Runge- Der denkende Zeichner, in: Kunsträume. Die Länder zu Gast in der Nationalgalerie Berlin, Berlin 1987, S. 21-52, S.26, Nr.17, Abb.S. 46

Symmetrie der Kunst, Natur und Wissenschaft, 2 Bde, Bd. 2, Ausst.-Kat. Mathildenhöhe, Darmstadt 1986, S.299, Abb., Nr.318

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Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800, Ausst.-Kat. Kunsthaus, Zürich; Städtische Kunsthalle und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1983, S.140-141, Abb.S. 133

Karl Möseneder: Philipp Otto Runge und Jacob Böhme. Über Runges "Quelle und Dichter" und den "Kleinen Morgen", Marburger Ostforschungen, Bd. 38, Marburg/Lahn 1981, S.77, Abb.28

Romantiken i Dresden. Caspar David Friedrich och hans samtida 1800-1850, Ausst.-Kat. Nationalmuseum, Stockholm 1980, S.102, Nr.173, Abb., Abb.103

Dahls Dresden, Ausst.-Kat. Nasjonalgalleriet, Oslo 1980, S.17, 134, Nr.280, Abb.S. 138

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.133, 133, Abb.Abb. 70, S. 66

Doris Krininger: "Der Morgen" - Prinzip Weiblichkeit als Quelle gesellschaftlicher Utopie - Zu Philipp Otto Runges universalem Kunst- und Weltentwurf, Marburg, Univ., Mag.-Arb. 1980, S.152, Anm. 45, V, Abb.Abb. 1a auf S. 130

Ingeborg Strübing: Philipp Otto Runge im Umkreis der deutschen und europäischen Romantik, hrsg. von Werner Imig, 2. Greifswalder Romantik-Konferenz, Greifswald 1979, S.135, Abb.Abb. 36 auf S. 158

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Jens Christian Jensen: Aquarelle und Zeichnungen der deutschen Romantik, Köln 1978, S.34, 183, Nr.83, Abb.27 auf S. 59

Waltraud Brodersen u. a.: Philipp Otto Runge. Historisch-kritische Analysen zu seinem Werk, Lahn-Gießen 1978, S.43, Abb.36

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Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.167, 422-425, Nr.389, Abb.

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Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875. Zeichnungen, Aquarelle. Pastelle, Ölstudien. Miniaturen und Möbel, Ausst.-Kat. Königliche Nationalgalerie Berlin 1906, S.107, Nr.2989

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.44, 48