Philipp Otto Runge
Der Bote von Starno und Swaran vor Fingal, um 1806
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Philipp Otto Runge

Der Bote von Starno und Swaran vor Fingal, um 1806

Philipp Otto Runge

Der Bote von Starno und Swaran vor Fingal, um 1806

Trotz Stolbergs Ablehnung, die dazu geführt hatte, dass er seine Ausgabe ohne Runges Illustrationen erscheinen ließ (Anm. 1), beschäftigte Runge der Stoff weiter, die ihm Gelegenheit „zu einer unabhängigen Bearbeitung des Ganzen“ (Anm. 2) bot. Die Mehrzahl der szenischen Darstellungen dürfte daher nach Stolbergs Absage entstanden sein; das für diese Zwecke ungeeignete große Format der erhaltenen Zeichnungen lässt vermuten, dass sie unabhängig vom Buchprojekt entstanden.
Gegenüber Quistorp hat Runge im Mai 1805 die Bedeutung, die das Projekt trotz Stolbergs Ablehnung für ihn nach wie vor hatte, näher umrissen: „Vorzüglich habe ich mein Augenmerk auf eine Bearbeitung, und einfache, durch unsre Kunst versinnbildlichte Darstellung des Zusammenhanges in dem Ganzen der Gedichte Ossian’s gerichtet. Es ist dieses Ganze von mir ziemlich durchgearbeitet, und ich glaube, die äußere Gestaltung der inneren geistigen Erlebungen, die in diesen Gedichten zum Grunde lieget, würde, zusammenhangend und mit Liebe an den Tag gebracht, die Neigung, die immer zu diesen Gedichten vorgewaltet hat, eine recht wohlthätige freudige Wendung geben; man würde lernen, durch die tragischen Begebenheiten der Zeit hindurch zu einer hohen freudigen Empfindung Ossian’s zu gelangen.“ (Anm. 3)
Nachrichten über eine konkrete Beschäftigung mit den ossianischen Gedichten fehlen danach zwar, doch fragt Runge im November 1805 Schildener um dessen Meinung zum Ossian (Anm. 4), und gibt im Februar 1806 seinem Bruder Gustav eine Art „Leseanweisung“ zu Stolbergs Übertragung (Anm. 5). Dass Runge an den Zeichnungen arbeitete, geht aus einem Brief Runges an Goethe hervor, dem er Zeichnungen zum Ossian vorlegen wollte, „sobald sie so weit gediehen sind.“ (Anm. 6) Im Mai 1806 schrieb Runge an Daniel, dass der Ossian noch „liegt“, da er sich „nicht gerne daran machen“ wollte, solange er sich nicht „in Einer Sache erst recht sicher im Ganzen wäre.“ (Anm. 7) Kurz danach muss Runge die Arbeit am Ossian wieder aufgenommen haben, denn Mitte Juni berichtet er, er habe noch eine Skizze zum Ossian gemacht (Anm. 8). Anfang Dezember erwähnt er gegenüber Goethe „einige Skizzen und allgemeine Ideen über den Ossian“ (Anm. 9) als Wegbereiter seiner Farbentheorie. Die zumindest gedankliche Beschäftigung mit dem Ossian hielt auch im Jahr darauf an, und veranlasste Runge zu einer Stellungnahme gegenüber Tieck, nachdem Runge über Freunde erfahren hatte, dass dieser sich verwundert über die Wahl des Themas „Ossian“ geäußert hätte. „Ich bin mit meinen Gedanken nicht von Ihnen gewesen, liebster Freund, wohl aber manchmal böse; das waren aber meine Gedanken von Ihnen: ich habe vor zwey Jahren recht wunderbare Gedanken gesehen, wie ich zuerst den Ossian las und mich dünkte damals, ich würde es alles machen können; es ist mir einerley, wie Sie über den Ossian denken; wenn ich es Ihnen einmal zeigen könnte, welche herrliche Gestalten mir darin aufgegangen, und das würde ich, könnte ich nur bey Ihnen seyn, so würden Sie mich verstehen. Es ist einerley, ob ich es nun so darstelle, oder auf eine andre Art; genug, wenn ich bey der Arbeit bleibe, kommt es doch heraus.“ (Anm. 10) Als Runge im April 1808 Zeichnungen an Goethe sendet, fehlen Blätter zum Ossian, da die bisher fertigen Zeichnungen „noch zu unvollständig“ sind, „um es jemand mitteilen zu können.“ (Anm. 11) Von Daniel erfuhr Goethe nach Runges Tod, dass dieser neben den drei „Charakterbildern“ zu Fingal, Oscar und Ossian auch „acht große historische Blätter zu dem Gedicht ‚Cathlod‘ leicht entworfen“ (Anm. 12) hatte (Inv. Nr. 34140, 34142-34148), die Runge weder signiert noch datiert hat, doch von Daniel in das Jahr 1805 datiert wurden (Anm. 13). Keine Datumsangeben tragen Inv. Nr. 34140 und 34143.
Die erste der „acht großen historischen“ Zeichnungen zu den beiden ersten Gesängen „Cathloda“ bezieht sich nach Kurella (Anm. 14) auf den ersten Gesang, Vers 21-29; Runge hat die Szene wie folgt beschrieben: „Fingal entspringt dem Sturm aus seinem Schiff, Abends, an Uthorno’s Bucht in Lochlin; seine Helden, wenig an der Zahl, um ihn. – Conbona an Thurthor’s Felsen gefesselt, ausschauend zu ihres Vaters Geist, der mit dem dunklen Rande seines Nebelschildes ihr in Nächten das Licht des Mondes verbirgt. (Angst ergreift sie stets beym Anblick des Wütherichs Starno, doch tief in die Seele schleicht sich ihr das jugendliche Bild des finstern Swaran’s.) – Auf der andern Seite erscheinen aus Loda’s dunkelm Hain Starno und Swaran, einen Boten absendend (Fingal zu laden zum verrätherischen Mahl; aber nichts hat Fingal mit Starno gemein, er rüstet sich zum Streit. Dem Mädchen löset er die Bande.) – V. 1-143.“ (Anm. 15)
Inv. Nr. 34141 ist zu dieser Szene der erste skizzenhafte Entwurf, wobei der gefesselten Conbona, die durch Fingal befreit wird, eine eigene Darstellung gewidmet wurde (vgl. Inv. Nr. 34142). Die in Bleistift ausgeführte, im Duktus freie und spontane Zeichnung ist die einzige die endgültige Komposition vorbereitende Skizze, die sich für die Ossian-Illustrationen erhalten hat. Auf der Skizze hat Runge das Geschehen zu einer gedrängten Komposition verdichtet, auf der Starno und Swaran links am Rand in vorderster Bildebene stehen, während der Bote und der dem Schiff entspringende Fingal weiter zurückgesetzt erscheinen. In ihrer direkten Konfrontation wendet sich der Bote frontal dem zum Kampf bereiten Fingal zu, der in dem energischen Schreitmotiv an Achill erinnert (vgl. Inv. Nr. 34230). Auf einem zweiten Entwurf (Inv. Nr. 34140), den Runge aus zwei Papierbögen zusammengesetzt hat, ist diese Begegnung zwischen Boten und Fingal entscheidend verändert: Fingal verweist den Boten entschieden, der sich voller Schrecken abwendet; In der Pose des Apoll von Belvedere, präsentiert Fingal sein Schwert so, dass es an ein Vortragekreuz erinnert. Nicht ohne Grund erscheint hinter Fingal die Strahlengloriole der Sonne. Von dieser Szene abgesetzt erscheinen, nicht wirklich in die übrige Komposition integriert, auf einem zweiten Bogen in mittelalterlichen Rüstungen Starno und Swaran. Daniel hat diesen Entwurf wie folgt beschrieben: „1) Links sieht man Swaran stehend, Starno niedergekniet und scharf nach der rechten Seite hinschauend, beide mit ihren Speeren und sechseckten Schilden, gepanzert. In der Mitte ihr Bote, die Antwort Fingal’s vernehmend und umkehrend. Er ist in eine Thierhaut gehüllt und hält den Speer. Rechts das Schiff mit gespanntem auf das Land gerichteten Segel; in demselben der sehr jugendliche Fingal, den Boten bedeutend, hinter ihm die Sonne. Vier Gefährten sind mit dem Schiffe beschäftigt.“ (Anm. 16) Ob Starnos und Swarans Rüstungen durch einen „geharnischten Ritter von Holz mit einem großen Spieß“ – wie Traeger meint (Anm. 17) - angeregt sind, der in der künftigen gemeinsamen Wohnung von Runge und Pauline in der Hamburger Schiffergesellschaft stand (Anm. 18), muss genauso offen bleiben, wie Traegers Vermutung, Fingals Schiff könne auf ein dort befindliches Modell eines „Grönländischen Kahns“ zurückgehen (Anm. 19).

Peter Prange

1 Die Gedichte von Ossian dem Sohne Fingals. Nach dem Englischen des Herrn Macpherson ins Deutsche übersetzt von Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Hamburg 1806.
2 Vgl. HS I, S. 258.
3 Brief vom 3. Mai 1805 an Quistorp, vgl. HS I, S. 264.
4 Brief an Schildener vom 17. November 1805, vgl. HS I, S. 298.
5 Brief vom 11. Februar 1806 an Gustav, vgl. HS I, S. 65.
6 Brief vom 26. April 1806 an Goethe, vgl. Philipp Otto Runges Briefwechsel mit Goethe, hrsg. von Hellmuth Freiherrn von Maltzahn, Weimar 1940, S. 36.
7 Brief vom 17. Mai 1806 an Daniel, vgl. HS I, S. 265.
8 Vgl. HS I, S. 265.
9 Brief vom 4. Dezember 1806 an Goethe, vgl. Maltzahn 1940, S. 58.
10 Brief vom 18. August 1807 an Tieck, vgl. HS I, S. 265-266.
11 Brief vom 19. April 1808 an Goethe, vgl. Maltzahn 1940, S. 87.
12 Brief Daniels vom 13. Oktober 1811 an Goethe, vgl. Maltzahn 1940, S. 108.
13 Vgl. HS I, S. 257.
14 Kurella 1920, Taf. IV.
15 HS I, S. 269.
16 HS I, S. 267.
17 Traeger 1975, S. 395.
18 Brief vom 16. Dezember 1803 an Pauline, vgl. Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S. 168.
19 Traeger 1975, S. 395.

Details zu diesem Werk

Verso

Titel verso: Aussetzung des Mosesknaben

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (, S. 110, Nr. 495 z1/9.: "9 Bt. 8 Federumriße zu den beiden ersten Gesängen von Cathloda, mehr oder weniger ausgeführt. Hamburg 1804-5. q.Impfol. ... 1, Starno und Swaran haben einen Boten und Fingal abgesendet ihn einzuladen zum verräterische Mahle."); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

Thomas Lange: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges, Berlin. München 2010, S.10, 13, 15, 32, 34-35, 56-57, Abb.Taf. 4 auf S. 141

Lange, Thomas: Das bildnerische Denken Philipp Otto Runges (1777-1810), München 2006, S.7, 12, 15, 41, 45-46, 82, 85, Abb.4

Susanne Strasser-Klotz: Runge und Ossian. Kunst, Literatur, Farbenlehre, Diss., Regensburg 1995 (http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975068997&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=975068997.pdf), S.28, 160, 168, 112 (Anhang)

Runge. Fragen und Antworten, hrsg. von Hanna Hohl, München 1979, S.13

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.89, 107, 121, Nr.71, Abb.

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.58, 68, 74-75, 94, 116, 124, 132, 136, 140, 152-153, 178, 195, 395, Nr.337, Abb.

Ossian und die Kunst um 1800, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, München 1974, S.92, Abb., Nr.62, Abb.

Ossian, Ausst.-Kat. Grand Palais, Paris, Paris 1974, S.67, Abb., Nr.62, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.171, 234, Abb.124

Christian Adolf Isermeyer: Philipp Otto Runge, Die Kunstbücher des Volkes, Bd. 32, Berlin 1940, S.128

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.164

Kurella, Alfred: Ossian, Fingal in Lochlin. 3 Gesänge in neuer Übertragung von Alfred Kurellam mit 12 bisher unveröffentlichten Zeichnungen von Philipp Otto Runge, Berlin 1920, Abb.Taf. IV f.

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.40, Nr.112

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 1, Hamburg 1840 (Reprint: Göttingen 1965), S.267, 269