Philipp Otto Runge
Achill und Skamandros (Weimarer Preisaufgabe), 1801
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Philipp Otto Runge

Achill und Skamandros (Weimarer Preisaufgabe), 1801

Philipp Otto Runge

Achill und Skamandros (Weimarer Preisaufgabe), 1801

Nach den Erörterungen mit Demiani nahm Runge „die erste Idee mit einigen Änderungen wieder auf; allein bey alle dem, daß ich nicht recht weiter kommen konnte, schien mir auch darin etwas zu fehlen, das mir nicht deutlich werden wollte. Gerne hätte ich es Hartmann gezeigt, allein ich wußte, daß er auch dabey war, und fragte mich, ob ihm dieses wohl auch gelegen seyn könnte? Endlich ging ich doch hin. Er hatte es auch dargestellt und zwar in einem ganz andern Sinn und viel besser. Er sagte: ‚Goethe hat hier, wie mich dünkt, einen Fehler gemacht, indem er es dem Künstler überläßt, welchen Moment er wählen will, und ihm deshalb räth, den ganzen 21. Gesang zu lesen. Es giebt hier eigentlich keinen Moment darzustellen, sondern die ganze Composition ist symbolisch, und wir können sie nur rein einsehen, wenn wir die Sache auf die platte Prosa zurückführen und dann diese Prosa ganz verlassen. Die Stelle ist der höchste Punct der Ilias, wo Achill selbst den Göttern widersteht.‘ Er hatte das ungefähr so wie Flaxman genommen. Der Held war zwischen den beiden Flüssen, Xanthos hatte ihn umfasst und Simios wälzte Leichen auf ihn; hinten die Nymphen, die den Fluss noch mehr anfüllen, und in den Wolken Here, die den Hephaistos zu seiner Hülfe abschickt. ‚Sie haben nun‘, sagte er, ‚die Sache bloß historisch genommen und haben dadurch eine imponierende Situation erlangt; suchen Sie diese etwas poetischer zu machen, ich kann Ihnen nicht Recht geben, allein ich rathe Ihnen deswegen doch nicht ab, Ihre eignen Ideen zu verfolgen. Nur sehen Sie zu, daß Sie den Achill wo möglich von vorne kriegen, denn er soll bey dem Ganzen zuerst in’s Auge fallen. Dann geben Sie dem Fluß statt des Ruders die Urne‘. – Das brachte mich nun auf ganz andre Gedanken. Xanthos stürzt die ganze Urne gegen ihn um, allein Achill erhält sich dennoch; der Fluß wendet die äußersten Kräfte an, um ihn zu vertilgen, und Achill verläßt sich auf den Beystand höherer Mächte; so müßte natürlich auf der Seite des Gottes die äußerste Anstrengung, und auf der des Helden der höchste Trotz seyn, also grade umgekehrt, wie ich es zuerst dachte. Durch den eben umgestürzten Baum wird das Ufer auseinander gerissen, ein Erschlagener stürzt dadurch mit hinunter, die Leichname und der Schaum werden über den Baum hingeschleudert, und so ist die Composition. Der Achill weicht hier allerdings dem Flusse aus, doch, was er dadurch verliert, gewinnt er wieder, da das ganze Troische Heer auf der andern Seite vor ihm flieht; in den Wolken schüttelt Pallas die Aegis und Juno schickt den Vulcan ab. Es kommt also jetzt noch bloß darauf an, daß ich es ausführe, und dazu wird die Zeit entsetzlich kurz werden. – Zwar noch habe ich nur immer den Helden von hinten, und obgleich ich ihn da eben so sehr kann hervorragen lassen, soll das noch umgedreht werden; allein ich denke, zwey Zeichnungen davon zu machen, und nach meinem Vermögen wird die von hinten die deutlichste werden.“ (Anm. 1)
Die Komposition entspricht weitgehend Inv. Nr. 34224; Runge kehrte damit zur ersten Kompositionsidee zurück, was er selbst beklagt, doch hat sie an Dramatik und kompositorischer Dichte gewonnen. Skamandros trägt nun statt des Ruders die Flußurne – eine Anregung, die auf Ferdinand Hartmann zurückging. Von Hartmann übernahm Runge auch den „Beystand höherer Mächte“, die bei Runge oben links in Form von Juno, Vulkan und Athena angedeutet sind. Runge hatte Hartmann erst in der ersten Julihälfte kennengelernt (Anm. 2); als Runge am 7. August den oben zitierten Brief an Daniel schrieb, hatte er die vorliegende Zeichnung noch nicht ausgeführt, sondern nur eine Vorstellung dazu – „Es kommt also jetzt noch bloß darauf an, daß ich es ausführe“; das vorliegende Blatt kann also erst nach dem 7. August entstanden sein. Es war deshalb nicht dasjenige, das von Hartmann begutachtet wurde; vielmehr muss es sich dabei um eine Fassung handeln, die Skamandros noch mit Ruder zeigte, denn erst auf dem vorliegenden Blatt hat Runge Hartmanns Rat in die Tat umgesetzt und das Ruder durch die Urne ersetzt. Ob das Hartmann vorgelegte Blatt verloren ist, oder doch in Inv. Nr. 34224 überliefert ist, lässt sich anhand der schriftlichen Überlieferung nur vermuten. Auch Daniels Beschreibung, dass „das ganze Troische Heer auf der andern Seite vor ihm flieht“, die mit dem vorliegenden Blatt übereinstimmt, bezeugt die Entstehung der Zeichnung erst nach dem 7. August. Sie ist eine von „zwey Zeichnungen“, die Runge anzufertigen gedachte, „und nach meinem Vermögen wird die von hinten die deutlichste werden.“
Runge hat auf diesem Blatt aber nicht nur Anregungen Hartmanns aufgenommen, sondern auch direkt auf Erfindungen Tischbeins zurückgegriffen. Der Helm Achills der signifikanten Sphinx und dem Federschmuck geht auf Tischbeins Darstellung des Achilleus auf dessen 1801 erschienener Radierung „Sieben Helden“ zurück (Anm. 3), auf der Tischbein Achills Helmschmuck aus einer Abwandlung des Helmes des „Ares Borghese“ entwickelt hatte (vgl. Inv. Nr. 34226). (Anm. 4) Auch die Figur der zwischen Skamandros und Achill treibenden Leiche eines gefallenen Trojaners dürfte Runge aus einem Gemälde seines Lehrers Abilgaard entlehnt haben. Auf seinem Gemälde „Culmins Geist erscheint seiner Mutter“ ähnelt die gekrümmte Rückenpartie der Trauernden auffallend dem leblos im Wasser treibenden Trojaner (Anm. 5). Ähnlich wie auf Inv. Nr. 34223 entlehnt Runge einzelne Figuren, die er im seinem Sinne in neuem Zusammenhang weiterverarbeitet.

Peter Prange

1 Brief vom 7. August 1801 an Daniel, vgl. HS II, S. 77-79.
2 Brief vom 17. Juli an Daniel, vgl. HS II, S. 76.
3 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Sieben Heldenköpfe, aus: Homer nach Antiken gezeichnet, mit Erläuterungen von Christian Gottlieb Heyne, Heft 1, Göttingen 1801, vgl. Wiedergeburt griechischer Götter und Helden. Homer in der Kunst der Goethezeit, Ausst.-Kat. Winkelmann-Museum Stendal, Mainz 1999, S. 119, Nr. IV. 13a, Abb.
4 Das Helmmotiv auch übernommen von Christoffer Wilhelm Eckersberg, Die kalydonische Eberjagd, Feder in Schwarz, Pinsel in Braun, 406 x 629 mm, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, vgl. Tegninger af C. W. Eckersberg, Ausst.-Kat. Kongelige Kobberstiksamling, Statens Museum for Kunst, Kopenhagen 1983, S. 173, Nr. 84, Abb.
5 Nicolai Abilgaard, Culmins Geist erscheint seiner Mutter, Öl/Lw, 63 x 78 cm, Stockholm, Nationalmuseum, Inv. Nr. NM 4471, vgl. Bertsch 2009, S. 2

Details zu diesem Werk

Wasserzeichen / Kettenlinien

"D L G / 1780" (links) und Weintraube (rechts)

Provenienz

Nachlass des Künstlers; ab 1810 im Besitz des Bruders Johann Daniel Runge (1767-1856), Hamburg; nach dessen Tod am 12. 3. 1856 im Besitz der Witwe Philipp Otto Runges, Pauline Runge (1785-1881), geb. Bassenge; als deren Geschenk an den Kunstverein in Hamburg, 30. 4. 1856 (Hamburger Kunsthalle, Archiv des Kupferstichkabinetts, Archiv Nr. 307, Catalog der Sammlung des Kunst-Vereins in Hamburg, S. 106, Nr. 495 i 1/9: "9 Bt. Achilles und Skamandros. Dresden 1801. ... 9, anderer Entwurf, Skamander mit der Urne. Tusche auf blauem Papier, weiß gehöht. Royfol. (Concurrenz- Zeichnung zur Weimarschen Preisaufgabe v. 1801.)"); Geschenk des Kunstvereins in Hamburg an das Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, 1891

Bibliographie

D. Ehrmann, N. C. Wolf (Hg.), Klassizismus in Aktion. Goethes Propyläen und das Weimarer Kunstprogramm, Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar 2016 - 458: Literaturgeschichte in Studien und Quellen, Bd. 24, Abb.S. 445 (Abb. 33)

York-Gothart Mix: Arabesker Tiefsinn oder Philipp Otto Runges Zyklus Die Zeiten als romantische Reflexionsbilder. Eine Einführung, in: Gebundene Zeit. Zeitlichkeit in Literatur, Philologie und Wissenschaftsgeschichte, Festschrift für Wolfgang Adam, hrsg. von Jan Standke, Heidelberg 2014, S.519

Peter Prange: Philipp Otto Runge und Johann Wilhelm Heinrich Tischbein – Austausch und Wirkung, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S.301, Abb. 4

Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik. Katalogteil, hrsg. von Markus Bertsch, Uwe Fleckner, Jenns Howoldt, Andreas Stolzenburg, München 2010, S.82, 116, 385, Nr.73, Abb.

Nicolai Abildgaard. Der Lehrer von Friedrich und Runge, hrsg. von Jenns E. Howoldt und Hubertus Gaßner, Ausst.-.Kat. Hamburg 2009, S.27, Abb. 19

Akademische Prägungen? Zur Abildgaard-Rezeption im Werk von Asmus Jakob Carstens, Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, in: Nicolai Abilgaard. Der Lehrer von Friedrich und Runge, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2009, S.26, Abb. 19

Inge Grolle: Die Geburt der Romantik aus dem Geist der Klassik. Zur künstelerischen Entwicklug von Philipp Otto Runge, 2004, S.82-83, Abb.S. 82

Stephanie Jacobs: Auf der Suche nach einer neuen Kunst. Konzepte der Moderne im 19. Jahrhundert. Runge - Goethe, Grandville - Delord, Schwind - Mörike, Manet - Mallarmé, Weimar 2000, zugl. Berlin, Univ., Diss. 1998, S.38, Abb.7

Hermann Mildenberger: Hamilton, Tischbein and Philipp Otto Runge, Oxford 1997, S. 295-303, S.299, Abb.7 auf S. 300

Goethe und die Kunst, hrsg. von Sabine Schulze, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle, Frankfurt; Kunstsammlungen zu Weimar, Stuttgart 1994, S.335, Abb., Nr.209

Hermann Mildenberger: J. H. W. Tischbein - Philipp Otto Runge - Friedrich Overbeck. Apekte des künstlerischen Austauschs, in: Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums Schloss Gottorf 1, 1986-87, Neumünster 1988, S. 31-87, S.44, Abb., 58, Abb.19 (Detail)

Sarah Symmons: Flaxman and Europe. The Outline Illustrations and their Influence, New. York, London 1984, S.218, Abb.Taf. 74

Peter Betthausen: Philipp Otto Runge, Leipzig 1980, S.17, Abb., 131, Abb.15

und Hamburger Kunsthalle: John Flaxman. Mythologie und Industrie., München 1979, S.188, Abb., Nr.227, Abb.

Runge in seiner Zeit, hrsg. von Werner Hofmann, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1977, S.96-97, Nr.48, Abb.S. 97

Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog, München 1975, S.30, 119, 313, Nr.201, Abb.

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Bd. 19, 1974, S.13-36

Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, bearb. von Eva Maria Krafft, Carl-Wolfgang Schümann, Hamburg 1969

Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Bd. 2, Hamburg 1841 (Reprint: Göttingen 1965), S.77-79

Kamphausen, Alfred: Philipp Otto Runges Beteiligung an den Weimarer Preisafugaben, in : Nordelbingen 34,, 1965, S.196, 198, Abb.4

Kunst in Dresden 18.-20. Jahrhundert. Aquarelle - Zeichnungen - Druckgraphik. Ausstellung zur Erinnerung an die Gründung der Dresdner Kunstakademie 1746, Ausst.-Kat. Kurpfälzisches Museum, Heidelberg 1964, S.133, Nr.568

Schadendorf, Wulf: Rezension zu "Berefelt 1961", 1963, , S.164

Gunnar Berefelt: Philipp Otto Runge zwischen Aufbruch und Opposition 1777-1802, Stockholm Studies in History of Art, Bd. 7, Stockholm 1961, S.230, Anm. 3, S. 231, 233, Abb.144

Philipp Otto Runge 23. Juli 1777 Wolgast - 2. Dezember Hamburg 1810. Zeichnungen und Scherenschnitte. Gedächtnis-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle aus Anlaß der 150. Wiederkehr seines Todestages, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1960, S.12, Nr.56

Charlotte Hintze: Kopenhagen und die deutsche Malerei um 1800, München 1937, S.73

Romantik im deutschen Norden. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e.V., Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1937, Nr.18

Otto Böttcher: Philipp Otto Runge. Sein Leben, Wirken und Schaffen, Hamburg 1937, S.143-144, 298, Nr.1, Abb.Taf. 8

Gustav Pauli: Ausstellung von Hamburgischen Zeichnungen der guten alten Zeit, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1922, S.11, Nr.25

Gustav Pauli: Philipp Otto Runges Zeichnungen und Scherenschnitte in der Kunsthalle zu Hamburg, Berlin 1916, S.30, Nr.30

Jahresbericht der Kunsthalle zu Hamburg für 1892, Hamburg 1893, S.48