Nikolaus Kremer
Männliches Bildnis, nach links gewendet, um 1525/30
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Nikolaus Kremer

Männliches Bildnis, nach links gewendet, um 1525/30

Nikolaus Kremer

Männliches Bildnis, nach links gewendet, um 1525/30

Das Blatt hatte Harzen zusammen mit fünf anderen (Inv.-Nr. 22883a-e und 22882) 1854 in London als Werke eines unbekannten Meisters erworben, sie später aber Nikolaus Kilian zugeschrieben, der jedoch nicht nachweisbar ist.(Anm.1) Der Name Kilians ist auf dem Verso von zwei Blättern notiert (Anm.2), darüber hinaus befindet sich diese Namensnotiz auch auf dem Verso von vier Blättern in Paris, die ebenfalls ähnlich lebensgroße Brustbilder zeigen.(Anm.3) Ebenso wie die Hamburger Blätter sind auch die Zeichnungen in Paris silhouettiert, was bereits durch den Künstler geschehen sein kann, doch wahrscheinlicher ist, dass sie erst später von einem Sammler ausgeschnitten wurden. Vielleicht ist die Silhouettierung als eine Art konservatorische Maßnahme des früheren Besitzers zu verstehen, der Teile des nicht mehr gut erhaltenen Papiers weggeschnitten hat. In jedem Fall ist für die gesamte Gruppe ein ehemals gemeinsamer Sammlungszusammenhang anzunehmen, aus dem die Zuschreibung an Nikolaus Kilian stammt. Während dieser Zeit, als die Blätter in Paris und Hamburg noch zusammen in einer Sammlung waren, muss die Silhouettierung vorgenommen worden sein.
Inventarisiert wurden die Hamburger Blätter als Werke des Christoph Amberger (1505–1591), die danach Hans Rott jedoch dem Baldung-Schüler Nikolaus Kremer zugeschrieben hat. Die Identifizierung der Zeichnungen mit Kremer beruht auf der Inschrift der vorliegenden Zeichnung, die als „Nicolaus Kremer“ zu lesen ist. Die Beschriftung ist sicher alt, ob sie allerdings vom Künstler selbst stammt, ist unklar. Auch muss einschränkend bemerkt werden, dass zwei Blätter in Paris eine ähnlich ausgeschnittene Inschrift tragen (Anm.4), die den Namen des Dargestellten nennt, und darunter – bei Inv.-Nr. 18715 – das Monogramm „NK“ und die Datierung „1541“ erscheinen. Bei der Inschrift auf dem Hamburger Blatt dürfte es sich also nicht um den Namen des Künstlers, sondern um den des Dargestellten handeln. Es dürfte sich bei dem Blatt also am ehesten um ein Selbstbildnis Kremers handeln. In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis von Rott interessant, der allerdings nicht überprüft werden konnte. Rott verweist auf den Bleiabguss eines 1528 entstandenen Holzmodells für eine Medaille von Friedrich Hagenauer in Braunschweig (Anm.5), der alt mit „Nikolaus Kremer, Maler in Straßburg“ beschriftet ist.(Anm.6) Ohne diese Frage abschließend klären zu können, ist die gleiche Identität der auf dem Bleiabguss in Braunschweig und auf dem Hamburger Blatt dargestellten Person wahrscheinlich.
Stilistisch steht das Selbstbildnis Kremers dem 1526 datierten Bildnis (Inv.-Nr. 22883d) nahe. Zwar fehlen auf dem vorliegenden Blatt die charakteristischen Schraffuren mit dem Rötelstift im Gesicht, doch gleichen sich die Angaben der Augen und vor allem von Mund und Nase auf beiden Blättern, weshalb an der Autorschaft Kremers kein Zweifel besteht. Ebenso wie Inv.-Nr. 22883d dürfte es in den 1520er Jahren entstanden sein, während die drei anderen Bildnisse (Inv.-Nr. 22883a-e) ebenfalls von Nikolaus Kremer, aber erst aus den 1540er Jahren stammen.
Über Kremers künstlerische Entwicklung ist wenig bekannt. Die Zeichnung einer das Kind anbetenden Madonna mit dem Monogramm „NK“ und der Datierung „1519“ in Stuttgart zeigt in seiner Chiaroscuro-Technik und stilistisch die näheste Verbindung zu Zeichnungen Baldungs, weshalb Kremers Schülerschaft bei Baldung zu diesem Zeitpunkt anzunehmen ist.(Anm.7) Das Stuttgarter Blatt unterscheidet sich jedoch von den Portraits in Hamburg und Paris, die allerdings stilistisch und in der Auffassung des Dargestellten dem Bildnis eines Unbekannten in Washington nahe stehen (Anm.8), das 1529 datiert ist und ebenfalls das Monogramm „NK“ trägt. Die Verwendung des Dreiviertelprofils und die Flächigkeit der Gesichtspartien sowie deren Verschattung stimmen weitgehend mit den Zeichnungen in Hamburg und Paris überein. Die ähnliche Form des ligierten Monogramms „NK“ sowie der Zahlen in der Datierung auf zwei Hamburger Blättern – Inv.-Nr. 22883d und 22883c – lassen keinen Zweifel daran, dass die Bildnisse in Hamburg bzw. Paris und in Washington von demselben Künstler stammen.
Unklar ist die Funktion der Blätter in Hamburg und Paris. Rott hat die Blätter als Vorlagen für Medaillen angesprochen, doch ist diese Annahme schon auf Grund der Dreiviertelprofile auszuschließen. Medaillen der Zeit zeigen ausschließlich reine Profilansichten. Wescher vermutete sie auf Grund ihrer Silhouettierung als Teil eines Skizzenbuchs (Anm.9), doch könnte ihr lebensgroßes Format ein Hinweis darauf sein, dass sie als Vorlagen für lebensgroße Portraits dienen sollten. Die Namen der Dargestellten – es sind Bürger aus Straßburg oder der Umgebung – auf einigen Zeichnungen und ihre Funktion, die Rott eruiert hat, deuten möglicherweise auf eine Wanddekoration in öffentlichen Gebäuden – etwa einem Rathaus –, in dem sich die Funktionsträger im Sinne der „Uomini Illustri“ darstellen ließen.

Peter Prange

1 Vgl. Thieme-Becker 21, 1927.
2 Vgl. Kat.-Nr. 542 und 543.
3 Paris, Louvre, Cabinet des dessins, Inv.-Nr. 18.715–18.718, vgl. Kat. Paris 1937, S. 51, Nr. 247–250, Taf. LXXXV und LXXXVI. Auf dem Verso der Unterlage eines Blattes in Paris (No 3) ist auch vermerkt, dass sich ähnliche Zeichnungen in der Sammlung Georg Ernst Harzens in Hamburg befinden.
4 Paris, Louvre, Cabinet des dessins, Inv.-Nr. 18.715 und 18.716, vgl. ebd., S. 51, Nr. 247 und 248, Taf. LXXXV.
5 Vgl. Herzogliches Museum. Führer durch die Sammlungen, Braunschweig 1891, S. 212 („Glastisch vor dem Fenster: Unbekannter Mann, von Friedrich Hagenauer, bez. FK 1528“) u. S. 293, Nr. 70. Momentan ist das Stück in den Beständen des Herzog Anton Ulrich-Museums nicht auffindbar, ich danke Regine Marth, Braunschweig, für diese Auskunft.
6 Georg Habich: Studien zur deutschen Renaissancemedaille. III. Friedrich Hagenauer, in: Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 28, 1907, S. 246, Taf. L, 7.
7 Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 78, vgl. Paul Wescher: Nicolas Kremer of Strassburg, in: The Art Quarterley 1, 1938, S. 207, Abb. 3.
8 Washington, National Gallery of Art, Inv.-Nr. 1947.6.3, vgl. Hand 1993, S. 115–119, Abb.
9 Wescher (Anm. 7), S. 207.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Links bezeichnet: "Nicolaus Kremer" (rote Kreide)

Auf dem Verso in der Mitte bezeichnet: "Christoph Amberger"; unten links bezeichnet: "9.9 13.0" (Bleistift); Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

31 mm

Verso

Titel verso: Häuserstudien

Technik verso: Pinsel in Schwarz

Provenienz

Erworben 1854 in London von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) NH Ad: 01: 04, fol. 141: "Unbekannt Brustbild unter Leben eines Mannes in dreiviertel Ansicht ohne Bart mit kurzem schlichten Haar, der Kopf von einem glatten breitrandigem schwarzen Barett bedeckt; sein {schwarzer} Mantel von dunkler Farbe ist arthig gesäumt und an den Enden geschlitzt. Bezeichnet Nicolaus Kremer. Charakteristisch in Kreide u Röthel ausgeführt. 9.9.13.0 ausgeschnitten und oelfleckig"; und Ad: 02: 04, S. 234 (als Nikolaus KIlian); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Katalog, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 1, Köln u.a. 2007, S.223-224, Nr.539

Othmar Plaßmann: Die Zeichnungen des Hans Aldegrever, Marburg 1994, S.158, Abb.151

John Oliver Hand: German Paintings of the fifteenth through seventeenth centuries. The Collections of the National Gallery of Art, Washington. Systematic catalogue, Cambridge 1993, S.118, Anm. 7

Von Dürer bis Baselitz. Deutsche Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1989, S.42-43, Abb., Nr.16

Heinrich Geissler: Zur Zeichenkunst von Hans Asper, in: Zeitschrift für Schweizer Archäologie und Kunstgeschichte 42, 1985, , S.148, Anm. 15

Hans Baldung Grien, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe 1959, S.123, Nr.293

Hans Rott: Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im XV. und XVI. Jahrhundert. III. Der Oberrhein, Stuttgart 1938, S.99, Abb.50

Loius Demonts: Musée du Louvre. Inventaire Général des dessins des Écoles du nord. Écoles allemande et suisse, Bd. 1, Paris 1937, S.51, Nr.bei Nr. 247

Friedrich Thöne: Tobias Stimmer. Handzeichnungen mit einem Überblick über sein Leben und sein gesamtes Schaffen, Freiburg i. B. 1936, S.80, Anm. 403

N. N.: Artikel "Nikolaus Kremer", in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, hrsg. von Ulrich Thieme, Felix Becker, Bd. 21, 1927,, S.494