☰
Meindert Hobbema, (?) Anonym (niederlÀndisch, 18. Jh.)
Die Allee von Middelharnis, vor 1689 (?)
ZurĂŒck Bildinfos ➕ ➖ ➕ 🗖 ❭

Meindert Hobbema, (?) Anonym (niederlÀndisch, 18. Jh.)

Die Allee von Middelharnis, vor 1689 (?)

Meindert Hobbema, (?) Anonym (niederlÀndisch, 18. Jh.)

Die Allee von Middelharnis, vor 1689 (?)

Diese Zeichnung wurde von Harzen inventarisiert als „geistreiche Bleistiftzeichnung“ des Jan Hackaert – vermutlich aufgrund der ĂŒberschlanken BĂ€ume – und gelangte ĂŒber sein Legat in Besitz der Kunsthalle. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde sie jedoch aus dem Bestand ausgegliedert und von Carl Fredrik Christian Rhodin erworben. Schlussendlich fand sie als Teil des VermĂ€chtnisses von der Hellen ihren Weg zurĂŒck in die Hamburger Kunsthalle. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde sie in Verbindung gebracht mit Meindert Hobbemas 1689 gemalter „Allee von Middelharnis“ – allerdings als Kopie aus dem 19. Jahrhundert.(Anm.1) Auch Robert-Jan te Rijdt und Jeroen Giltay sehen in dem Blatt das Werk eines Nachahmers, das Te Rijdt zufolge aber in das 18. Jahrhundert zu setzen wĂ€re.(Anm.2)
Zu einem anderen Ergebnis kommt der genaue Vergleich mit dem in London verwahrten GemĂ€lde, der eine Funktion als Kopie mit Sicherheit ausschließen lĂ€sst.
Zwar stimmen die Zeichnung und das Bild in ihren wesentlichen Elementen ĂŒberein: Dazu gehören die von GrĂ€ben eingefasste Allee, die Spuren der WagenrĂ€der in der sandigen Straße, die von links einfallenden Schatten der BĂ€ume, der hinter der ersten Baumgruppe nach rechts abzweigende Weg und die sich im Hintergrund abzeichnende Dorfsilhouette.
Auf der Hamburger Zeichnung ist der Blickpunkt enger gefasst, doch die entscheidenden Abweichungen sind nicht Folge des begrenzten Bildausschnitts. Unterschiede finden sich im proportionalen VerhĂ€ltnis zwischen den einzelnen StĂ€mmen, ihrer Form und ihrer Anordnung. Der auf der Zeichnung grĂ¶ĂŸere Abstand zwischen den BĂ€umen und ihre weniger stark ausgeprĂ€gten Höhenunterschiede haben einen erheblich schwĂ€cheren perspektivischen Tiefensog zur Folge.
Nur flĂŒchtig angedeutet sind hier die Felder seitlich der Allee. Das auf dem Bild prononciert herausgearbeitete Gehöft rechts lĂ€sst sich auch auf unserer Zeichnung ausmachen, dort allerdings halb verdeckt von einer kleineren Baumreihe, die auf dem Bild, weiter nach rechts versetzt, den Blick auf die bĂ€uerlichen GebĂ€ude freigibt. DafĂŒr fehlt auf dem Bild der auf unserem Blatt vorne rechts skizzierte Schuppen samt vorgelagertem Weidenbaum. An entsprechender Stelle befindet sich auf dem GemĂ€lde ein gepflegtes Beet mit Baumsetzlingen, das als kultivierte Natur dem verwilderten Feld am linken Rand gegenĂŒbergestellt wurde.(Anm.3)
Der Vergleich mit dem GemÀlde attestiert der Hamburger Zeichnung also eine auffallende EigenstÀndigkeit. Dabei fehlen wesentliche Bildaussagen der gemalten Fassung, die sich auch in ihrem klarer akzentuierten und damit reifer und gesÀuberter wirkenden Aufbau von der Zeichnung unterscheidet. Diese qualitativen Abweichungen von dem komponierten Landschaftsbild lassen an die Möglichkeit denken, dass es sich bei unserem Blatt um eine Naturaufnahme handelt.
In diese Richtung weisen auch die fehlende figĂŒrliche Staffage, die nur flĂŒchtig erfasste Architektur der St. Michaelskirche im linken und die zu summarischen Schraffen reduzierten HĂ€user im rechten Hintergrund. Eindeutig lag der Schwerpunkt des Zeichners auf der Wiedergabe der Allee – die GebĂ€ude ließen sich nachtrĂ€glich in separaten Einzelstudien erarbeiten.(Anm.4)
Daraus ergeben sich zwei mögliche Schlussfolgerungen: Entweder handelt es sich um die unabhĂ€ngig von Hobbema entstandene Naturstudie eines unbekannten KĂŒnstlers aus dem 18. Jahrhundert, eine aus stilistischer Sicht durchaus nahe liegende Option. Alleen waren als Motiv bei hollĂ€ndischen Malern beliebt,(Anm.5) und das auf der sĂŒdhollĂ€ndischen Insel Goeree-Overflakkee gelegene Middelharnis könnte auch von anderen Zeichnern aufgesucht worden sein. Das GemĂ€lde Hobbemas befand sich als weitere Inspirationsquelle bis 1822 in Holland.(Anm.6) Ungewöhnlich wĂ€re in diesem Fall allerdings der mit dem GemĂ€lde genau ĂŒbereinstimmende Lichteinfall von links.
Oder es handelt sich um eine eigenhĂ€ndige Naturaufnahme Hobbemas, die als Ausgangspunkt fĂŒr das Londoner GemĂ€lde verwendet wurde. In diesem Fall wĂ€ren die Unterschiede zwischen Zeichnung und Bild zu erklĂ€ren durch den Entwicklungsprozess von unverfĂ€lschter Studie zur komponierten Landschaft.(Anm.7) GrundsĂ€tzlich stĂŒnde das TrĂ€germaterial dieser Deutung nicht entgegen: Das Wasserzeichen lĂ€sst in der Tat an eine Entstehung in der zweiten HĂ€lfte des 17. Jahrhunderts denken, und das Format war fĂŒr entsprechende Studien gelĂ€ufig.(Anm.8) Wenn das 1689 datierte Bild, wie 1991 vorgeschlagen, tatsĂ€chlich von einem Auftraggeber aus der Gegend von Middelharnis bestellt wurde, muss der zeitliche Abstand zwischen Naturstudie und GemĂ€lde nicht allzu groß gewesen sein.(Anm.9)
Allerdings konnten dem Ruisdael-SchĂŒler Hobbema bisher keine Zeichnungen mit Sicherheit zugeschrieben werden. Giltay (1980) akzeptierte nur sieben BlĂ€tter auf Basis verwandter GemĂ€ldekompositionen.(Anm.10) Diese sind als bildmĂ€ĂŸige, lavierte Kreidezeichnungen einer grundsĂ€tzlich anderen Gattung zuzuordnen und eignen sich nicht zum stilistischen Vergleich mit der Hamburger Graphitskizze.(Anm.11)
So ist eine Zuschreibung an Hobbema nur unter starkem Vorbehalt in Betracht zu ziehen. Solange nicht vergleichbare Zeichnungen mit GemĂ€ldebezug bekannt werden, bleibt seine Autorschaft fĂŒr dieses Blatt in gewisser Weise hypothetisch.

Annemarie Stefes

1 Notiz auf dem Unterlegkarton; das GemÀlde befindet sich in London, National Gallery, Inv.-Nr. NG 830, Georges Broulhiet: Meindert Hobbema (1638-1709), Paris 1938, Nr. 375.
2 Te Rijdt am 23. 2. 2008 im Anschluss an das Symposium „NiederlĂ€ndische Altmeisterzeichnungen 1500 bis 1800“ im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; Giltay in einer E-Mail vom 18. 1. 2010 hielt das Blatt fĂŒr das Werk eines spĂ€teren Amateurs. – Gegen die zeitliche Einordnung als Werk des 19. Jahrhunderts spricht neben dem Wasserzeichen auch die Tatsache, dass das Blatt von Harzen erworben wurde, dessen Kennerschaft kaum durch das Handwerk eines Zeitgenossen genarrt worden wĂ€re.
3 Vgl. Sutton, in: Peter C. Sutton, Albert Blankert: Masters of 17th Century Dutch Landscape Painting, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksmuseum, Boston, Museum of Fine Arts, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art, Amsterdam 1987, S. 353–354 mit weiteren Verweisen.
4 MacLaren/Brown 1991
Neil MacLaren, Christopher Brown: The Dutch School. Bd. 1, Text and comparative plates, National Gallery Catalogues, London 1991, S. 177 betonten die akkurate Wiedergabe der topographischen Details auf dem GemÀlde.
5 Zu diesem Thema vgl. Udo Felbinger: Die Allee als Bildmotiv in der flĂ€mischen und niederlĂ€ndischen Malerei des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-WĂŒrttemberg 43, Berlin 2006, S. 55-72.
6 Neil MacLaren, Christopher Brown: The Dutch School. Bd. 1, Text and comparative plates, National Gallery Catalogues, London 1991, S. 178.
7 UrsprĂŒnglich bestand die vordere Baumgruppe der Allee aus jeweils sieben BĂ€umen – wie auf der Hamburger Zeichnung zumindest rechts skizziert. Die beiden Ă€ußeren BĂ€ume wurden jedoch von Hobbema selbst ĂŒbermalt, vgl. Neil MacLaren, Christopher Brown: The Dutch School. Bd. 1, Text and comparative plates, National Gallery Catalogues, London 1991, S. 176 und Abb. 41.
8 Vgl. die Dresdner SkizzenbuchblĂ€tter des Jacob van Ruisdael, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1275–1277, C 1279–1281, C 1284–1287, Slive 2001, Nr. D44-D52, durchschnittlich 145 x 195 mm.
9 Neil MacLaren, Christopher Brown: The Dutch School. Bd. 1, Text and comparative plates, National Gallery Catalogues, London 1991, S. 178. Eine Reise Hobbemas in die sĂŒdlichen Niederlande ist nicht dokumentiert, doch weist eine ebenfalls 1689 datierte Ansicht von Deventer in Gelderland auf eine gewisse MobilitĂ€t des KĂŒnstlers in dieser Zeit, vgl. ebd.
10 Jeroen Giltay: De tekeningen van Jacob van Ruisdael, in: Oud Holland 94, 1980, S. 141-208, S. 184 wies darauf hin, dass Hobbema-Zeichnungen auch in alten Auktionskatalogen selten erwÀhnt wurden.
11 Jeroen Giltay: De tekeningen van Jacob van Ruisdael, in: Oud Holland 94, 1980, S. 141-208, S. 203. Vgl. die Zeichnung in Paris, Petit Palais, Sammlung Dutuit, Inv.-Nr. D-Dut 996, Regards sur l'art hollandais du XVIIe siĂšcle. Frits Lugt et les FrĂšres Dutuit, collectionneurs, Ausst.-Kat. Paris 2004, Nr. 60; fĂŒr diese Zeichnungen wurde kĂŒrzlich die Hand eines Kopisten in Betracht gezogen, vgl. David Mandrella: Arcadie du Nord. Dessins Hollandais du musĂ©e CondĂ© Ă  Chantilly, Ausst.-Kat. Chantilly, MusĂ©e CondĂ©, Paris 2001, S. 42–43.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links Stempel der Sammlung Rhodin (L. 2179); daneben bezeichnet: "Coll. Harzen" (Feder in Schwarz); in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); rechts Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1233); auf aufgeklebtem Papier unten rechts bezeichnet: "Jan Hackaert" (Druck)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Wappen von Amsterdam, untere HĂ€lfte, vielleicht Heawood 365 (Amsterdam 1685), oder 426 (1665)
ca. 24 mm (h)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 27 als "Jan Hackaert": "Eine Allee hochstĂ€mmiger BĂ€ume, die zu einer nahen hollĂ€ndischen Stadt fĂŒhrt. Geistreiche Bleistiftzeichnung. 7.4.5.11"; NH Ad: 02: 01, S. 252); Legat Harzen 1863 an die „StĂ€dtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt ĂŒbereignet fĂŒr die 1869 eröffnete Kunsthalle; zu einem unbekannten Zeitpunkt abgegeben; Carl Fredrik Christian Rhodin (1821-1886), Altona bei Hamburg (L. 2179); Washington von der Hellen (1834-1900), Hamburg, Nr. 97; Gustav von der Hellen (1879-1966), San Isidro/Argentinien (nicht bei Lugt); Schenkung von der Hellen 1962 an die Hamburger Kunsthalle

Bibliographie

Stefes, Annemarie: NiederlĂ€ndische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.279-280, Nr.445