Joseph Anton Koch
Der Reichenbachfall bei Meiringen, 1792/94
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Joseph Anton Koch

Der Reichenbachfall bei Meiringen, 1792/94

Joseph Anton Koch

Der Reichenbachfall bei Meiringen, 1792/94

Bevor sich Koch in Rom niederließ, hielt er sich 1791-94 in der Schweiz auf, wo er der Faszination der noch wenig bekannten Bergwelt erlag. Während seines Aufenthalts in den Berner Alpen entstand eine Reihe von aus der unmittelbaren Naturbeobachtung hervorgegangenen Landschaftsstudien, in denen sich Koch auf die Darstellung des Wasserfalls konzentrierte. Er war von der Monumentalität und erhabenen Großartigkeit dieses Naturschauspiels so beeindruckt, dass er in dem Motiv einen Gegenstand philosophischer und politischer Reflexion entdeckte: „Hier hub ich meine Augen auf, und sahe Wunder, eine unermessliche Wassermasse schäumte darnieder, und war anzusehen wie ein durch ein entsetzliches Erdbeben auseinander schmetternder Berg, welcher im Staub aufgelöst darniederstürzt. [...] Das erhabene Schauspiel bewegte meine durch Götter unterdrückte Seele aufs äußerste, gleich dem wilden Strom wallte mein Blut, pochte mein Herz. Es schien mir als riefe der Gott des Rheins vom zackigten Fels zu: Steh auf, handle, sei tätig mit standhafter Kraft, stemme dich gewaltig gegen Despotismus, reiß auseinander die schimpflichen Bande, welche dich fesseln, sei unerschütterlich wie der Fels, den ich bekämpfe, in der Verteidigung der Freiheit der Menschheit“, schrieb Koch 1791 in sein Tagebuch angesichts des Rheinfalls bei Schaffhausen (Frank 1995, S. 11-12).
Auch auf dem Blatt mit dem Reichenbachfall graben sich die wild tosenden und hell schäumenden Wassermassen trichterförmig in die dunklen, schroffen Felsformationen ein – Sinnbild für den dramatischen Kampf zwischen den Elementen, aber auch des Kampfs zwischen den Kräften der Veränderung und der Beharrung. Der fast nackte, archaisch wirkende Wanderer, der angesichts der gewaltigen Naturkräfte erschauert, verkörpert die unberührte, ursprüngliche Wildnis, in der sich die Menschen in einem an keine Stände gebundenen, freien Zustand befinden. Diese nur wenig vorher von Jean-Jacques Rousseau formulierte Einsicht spiegelt sich deutlich in Kochs Offenbarungserlebnis wieder, weshalb im Bild des Wasserfalls nicht nur eine Metapher für die Kraft der Naturgewalten, sondern auch ein Aufruf zur Auflehnung gegen den Despotismus zu sehen ist.

Peter Prange

Details zu diesem Werk

Provenienz

Sammlung Franz Alfred Jacob Freiherr von Bernus, Stift Neuburg bei Heidelberg (Lugt 1940 c) (?); Sammlung Graf Klaus von Baudissin, Heidelberg, - 1922; von diesem 1922 durch die Hamburger Kunsthalle erworben.

Bibliographie

Cornelia Reiter: Ideal und Natur. Zeichnungen und Aquarelle von Joseph Anton Koch und Johann Michael Wittmer, hrsg. von Kupferstichkabinett der Akademie der bildenenden Künste, Wien, Wien/ Salzburg 2011, S.18, Nr.bei Nr. 2

Zum Sehen geboren. Handzeichnungen der Goethezeit und des 19. Jahrhunderts. Die Sammlung Dräger/Stubbe, hrsg. von Brigitte Heise, Leipzig 2007, S.168, Anm. 2

Peter Prange, Petra Roettig, Andreas Stolzenburg u. a.: Von Runge bis Menzel. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2003, S.36, Nr.13, Abb.S. 37

Peter Prange, Petra Roettig, Andreas Stolzenburg u.a.: Ideas on Paper. 100 Masterdrawings from the collections of the Hamburger Kunsthalle (in griech. Sprache), hrsg. von Marilena Cassimatis, Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Athen, Nationalgalerie 2003, S.160, Nr.66, Abb.

Mo(u)numental. Berge und Landschaft in der zeitgenössischen Kunst und Fotografie im Dialog mit Joseph Anton Koch (1768-1839), Ausst.-Kat. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Innsbruck 2002, S.27, Abb.27

Expedition Kunst. Die Entdeckung der Natur von C. D. Friedrich bis Humboldt, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2002, S.216, Nr.141

Cornelia Reiter: Suche nach dem Unendlichen. Aquarelle und Zeichnungen der deutschen und österreichischen Romantik aus dem Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien, Ausst.-Kat. Winckelmann Museum, Stendal; Mittelrhein Museum, Koblenz; Museo Civico, Bologna; Akademie der bildenden Künste Wien, Kupferstichkabinett 2001, S.24, Abb., Anm. 1

Hilmar Frank: Joseph Anton Koch. Der Schmadribachfall. Natur und Freiheit, hrsg. von Michael Diers, Kunststück, Frankfurt a.M. 1995, S.34, Abb.18

Zeichnen - malen - bilden. Schwäbischer Klassizismus zwischen Ideal und Wirklichkeit 1770-1830, Bd. 1, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart 1993, S.136-137, Nr.128, Abb.

Europa 1789. Aufklärung - Verklärung - Verfall, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Köln 1989, S.192, Nr.bei Nr. 196, Abb.

Freiheit- Gleichheit- Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland, hrsg. von Gerhard Bott, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1989, S.506, Nr.410, Abb.

Christian von Holst: Joseph Anton Koch 1768-1839. Ansichten der Natur, Ausst.-Kat. Staatsgalerie, Stuttgart 1989, S.142-144, Nr.25, Abb.25

Otto R. von Lutterotti: Joseph Anton Koch. 1768-1839. Leben und Werk, Wien u. a. 1985, S.335, Nr.Z 300

De Aquarel 1800-1950 Delft 1952, S.11, Nr.42

Otto R. von Lutterotti: Joseph Anton Koch 1768-1839. Mit Werkverzeichnis und Briefen des Künstlers, Berlin 1940, S.254, Nr.300, Abb.102

Joseph Anton Koch 1768-1839. Gemälde und Zeichnungen, Ausst.-Kat. National-Galerie, Berlin, Berlin 1939, S.47, Nr.104, Abb.

Josef Anton Koch 1768-1839. Die schönsten Gemälde und Zeichnungen des großen Tirolers aus deutschen Sammlungen, 1939, Nr.10

Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875. Zeichnungen, Aquarelle. Pastelle, Ölstudien. Miniaturen und Möbel, Ausst.-Kat. Königliche Nationalgalerie Berlin 1906, S.69?, Nr.2668?