Johann Christoph Erhard
Johann Christoph Erhard
Die figurenreiche Szene auf Inv.-Nr. 23268 und 23269 stellt den Blick auf die kleine Kapelle und die Kirche San Rocco in Olevano dar, im Hintergrund ist die Burg sichtbar. Eine ähnliche Ansicht mit der Kapelle und San Rocco, aber gänzlich ohne Staffage, existiert von Arthur Blaschnik in Berlin.(Anm. 1)
Die beiden Blätter sind für Erhard ungewöhnlich, stellen sie doch abgesehen von den Figurenstudien der Villa Malta die einzigen wirklichen Genredarstellungen dar, die in Rom entstanden. In ihnen schildert Erhard lebhaft das volkstümliche Treiben am Rand von Olevano: links sind Flachsbrecherinnen bei der Arbeit zu erkennen, vor ihnen reitet eine Frau auf einem Esel, die von einem Bauern begrüßt wird, rechts daneben steht an einem Felsen ein Greis, der sich auf seinen Stock stützt, vor ihm balgen sich einige kleine Kinder. Auf beiden Ansichten variiert die Figurenstaffage etwas; gegenüber Inv.-Nr. 23268 trägt auf Inv.-Nr. 23269 die auf dem Esel reitende Frau ein Kind auf dem Schoß, der Bauer wird links von einem Mädchen begleitet, vor dem Greis balgen sich nur zwei Kinder, während das dritte, am Felsen angelehnte Kind ursprünglich eine eigene Gruppe mit einem Mädchen bildete. Auch ist die allerdings nicht in Aquarell ausgeführte Lastenträgerin, die auf Inv.-Nr. 23268 zu San Rocco hinaufsteigt, durch einen kleinen Knaben ersetzt, der zwischen den Felsen auftaucht.
Inv.-Nr. 23269 trägt unten rechts auf dem Untersatzpapier von fremder Hand die Bezeichnung „letzte Arbeit“, doch muss fraglich bleiben, ob das Blatt wirklich von Erhard stammt. Marleen Gärtner hält es für eine freie, in der Figurenstaffage veränderte Kopie von der Hand eines seiner Künstlerfreunde. Tatsächlich ist Inv.-Nr. 23269 in der Aquarellierung gegenüber Inv.-Nr. 23268 wesentlich undifferenzierter mit einer Tendenz zur Flächigkeit, wirkt in den Figuren insgesamt steifer und hölzern, die mit den lebendigen Figuren Erhards nichts gemein haben.
Einen Hinweis auf die Autorschaft von Inv.-Nr. 23269 könnte Inv.-Nr. 43927 geben, das auf Transparentpapier als Kopie nach Inv.-Nr. 23268 entstand. Es ist identisch mit einem Blatt aus der Sammlung des Gothaer Erhard- und Kleinsammlers Conrad Jahn, das 1883 zusammen mit anderen Pausen nach Werken Erhards aus dessen Nachlass versteigert wurde: „Am Ausgang der Strasse einer italienischen Stadt mit reicher Staffage. Erhard’s letzte Arbeit. Pause seines Bruders.“ (Anm. 2) Es ist gut vorstellbar, dass die etwas unbedarfte Kopie von Erhards Bruder Benjamin stammt, was auch für Inv.-Nr. 23269 gelten könnte.
In unmittelbaren Zusammenhang mit der Ansicht von Olevano steht ein weiteres Blatt in Privatbesitz3, das ebenfalls von fremder Hand die Notiz „letzte Arbeit des Meisters“ trägt. Auf ihm erscheint die Kirche San Rocco zwar nur angeschnitten am rechten Rand und die Staffage ist gegenüber Inv.-Nr. 23268 verändert, doch handelt es sich um eine Vorarbeit zu dem Aquarell.
Peter Prange
1 Arthur Blaschnik, Die kleine Kapelle und die Kirche San Rocco in Olevano, 1853, Bleistift, Aquarell, 288 x 356 mm, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. SZ 1, vgl. Domenico Riccardi: Gli artisti romantici tedeschi del primo Ottocento a Olevano Romano, Mailand 1997, S. 230, Nr. 68, Abb.
2 Vgl. Jahn 1883, S. 71, bei Nr. 1260.
3 Ansicht von Olevano mit Blick auf die Burg, Bleistift, 194 x 276 mm, Privatbesitz, vgl. Gärtner 2012, S. 321, Nr. 551, vgl. auch C. G. Boerner, Leipzig, Lagerliste 41, Leipzig 1928, Nr. 104, Abb. S. 20.
Details zu diesem Werk
Wasserzeichen / Kettenlinien
J WHATMAN
Provenienz
Nachlass des Künstlers, Rom, 1822; Johann Benjamin Erhard d. J., Nürnberg (Bruder des Künstlers); von dort erworben durch Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (Lugt 1244); dessen Legat 1863 an die Stadt Hamburg für ein zukünftiges Museum, 1869 der neu eröffneten Kunsthalle übergeben (Archiv der Hamburger Kunsthalle, Nachlass Harzen, Inventar Ad: 01: 28, Fol. 779: “Ein feiner Platz in einem Gebirgsstädtchen m Character von Olevano. im Vorgrund eine Frau auf einem Esel mit einem Hunde, balgende Kinder und ein gestandener Greis, im Mittelgrunde eine kleine Capelle vor der ein Landmann mit einem Spaten den Hut zieht und andere Figuren, im Hintergrund die Ruinen eines Castells auf ein Felsengipfel und Gebirgsform. {Bl (durchgestrichen)} Composition; Bleistift u Aquarell angelegt, unvollendet. Br 8.4 H 5.9.“
Bibliographie
Marleen Gärtner: Johann Christoph Erhard (1795-1822). Sein Leben und seine Zeichnungen, Marburg 2013 (sic; 2012), S.135, 163, 320, Nr.550
Domenico Riccardi: Olevano e i suoi pittori. Gli artisti di lingua tedesca (Germania, Austria, Svizzeria) dalla fine del settecento al 1850 nei luoghi dei monti degli equi, Rom 2004, S.211, Abb.Taf. 31 auf S. 210
Deutsche Romantik. Handzeichnungen. Band 1: Carl Blechen (1798-1840) bis Friedrich Olivier (1791-1859), hrsg. von Marianne Bernhard, München 1973., S.1989, Abb.S. 273
Das Aquarell 1400-1950, Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München u.a. 1972-1973, S.134, Nr.167
Wolf Stubbe: Italienreise um 1800. Aquarelle und Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1958, S.31, Nr.157, Abb.S. 29