Govaert Flinck
Die Verschwörung des Claudius Civilis, 1659 - 1660
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Govaert Flinck

Die Verschwörung des Claudius Civilis, 1659 - 1660

Govaert Flinck

Die Verschwörung des Claudius Civilis, 1659 - 1660

Als das Neue Rathaus in Amsterdam 1655 eröffnet wurde, entschied man sich für ein „vaterländisches“ Thema zur Ausschmückung der Lünettengemälde in der Galerie: Das ikonographische Programm für diese nahezu 5,5 x 5,5 m großen Bildfelder basierte – auf Anregung des Dichters Joost van den Vondel – auf einem nationalen Mythos: dem Aufstand der Bataver gegen die Römer (69 n. Chr.), der als Identifikationsmodell für die junge Niederländische Republik in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen die Spanier gewertet wurde.(Anm.1) Darüber hinaus konnte der Bezug auf den germanischen, in Teilen der Niederlande ansässigen Volksstamm die dynastische Legitimation der Statthalterfamilie untermauern – so galt der Bataverführer Claudius Civilis gewissermaßen als Präfiguration Wilhelm von Oraniens.(Anm.2)
Die Entwicklung des ambitionierten Projekts wurde Govert Flinck angetragen, nachdem sich dieser bereits bewährt hatte im Bereich des großformatigen Wandschmucks.(Anm.3) In einem Vertrag vom 28. November 1659 verpflichtete sich der Künstler zur Anfertigung von insgesamt zwölf Lünettengemälden: acht Szenen aus dem Bataveraufstand und vier Bildnissen vaterländischer Helden.(Anm.4) Er starb jedoch nur wenige Monate später, am 2. Februar 1660. Die vorliegende Zeichnung und das folgende Blatt sind die einzig erhaltenen Skizzen für das geplante Großprojekt.
In beiden Fällen orientierte sich Flinck an seinem wichtigsten ikonographischen Vorläufer: der 1612 in Antwerpen von Otto van Veen herausgegebenen Ausgabe des „Krieges der Bataver gegen die Römer“ mit 35 radierten Illustrationen Antonio Tem-pestas nach Entwürfen Van Veens.(Anm.5) Dieses ursprünglich aus den südlichen Nieder-landen stammende Druckwerk verbreitete sich rasch in den Nördlichen Provinzen und lieferte gewissermaßen die Prototypen für zahlreiche Darstellungen des Bataveraufstandes.(Anm.6) Flinck übernahm von den entsprechenden Tempesta-Stichen die zentralen Figurenmotive, veränderte jedoch die Proportionen zugunsten der Protagonisten und reduzierte die Anzahl der Begleitpersonen. Diese Konzentration auf das Wesentliche war ganz auf die Monumentalität der Gemälde ausgerichtet und ging einher mit einer leicht untersichtigen Perspektive, die ihrem hohen Anbringungsort geschuldet war.(Anm.7)
Dargestellt ist hier die nächtliche Verschwörung der Bataver, die dem Bericht des Tacitus zufolge in einem heiligen Wald („sacrum nemus“) stattfand. Dies wurde im Niederländischen gleichgesetzt mit dem bei Voorburg gelegenen „Schakerbos“.(Anm.8) Bei einem Festmahl verbündete sich der batavische Anführer Claudius Civilis mit anderen Stammesführern und nahm ihnen den Eid ab, laut Tacitus nach barbarischem Brauch („barbaro ritu“) durch Aneinanderschlagen der Schwerter.(Anm.9) Bei Flinck hingegen wird der Eid durch Handschlag bekräftigt, gemäß der römischen Schwurformel der „iunctio dextrarum“.
Auf dem zweiten Entwurf, Inv.-Nr. 22346, wird Brinio zum Heerführer der mit Civilis verbündeten Canninefaten ausgerufen und zum Zeichen dieser Würde auf einen Schild erhoben. Gekleidet sind Flincks Bataver in römische Uniformen. Lediglich die mit Federn besetzte Kopfbedeckung des Claudius Civilis sorgt für einen fremdartigen Charakter und erinnert zugleich an die burgundische Landsknechttracht der Bataver bei Tempesta – im frühen 17. Jahrhundert Inbegriff des Altmodischen.(Anm.10)
Nach Flincks unerwartetem Tod verpflichtete man unterschiedliche Künstler für die Ausführung der einzelnen Bilder. Die „Verschwörung des Claudius Civilis“ wurde offensichtlich zunächst Rembrandt übertragen, doch fand seine heute in Stockholm verwahrte, nachträglich verkleinerte Version kein Gefallen vor den Augen der Stadtväter.(Anm.11) So entschied man sich, auf Flincks begonnene Version zurückzugreifen. Sie wurde von Jürgen Ovens (1623–1678) vollendet, hängt noch heute im Königlichen Palast, dem ehemaligen Amsterdamer Rathaus, und greift in der Anlage der Hauptfiguren auf die Hamburger Skizze zurück – mit dem wesentlichen Unterschied, dass die höhere hierarchische Stellung des Civilis dort stärker betont wurde.(Anm.12) Ovens waren auch die beiden Flinck-Skizzen von Harzen und Schmidt (1922) zugeschrieben, bevor erstmals Schneider (1925) die Autorschaft Flincks in Betracht zog. Dies wurde von Moltke (1965) und nachfolgenden Autoren akzeptiert.
Für die gemalte „Schild-Erhebung“ zeichnete letztlich Jan Lievens verantwortlich.(Anm.13) Von den ursprünglich sechs weiteren projektierten Gemälden wurden lediglich zwei ausgeführt: der „Nächtliche Überfall auf das römische Lager“ und die „Friedensverhandlungen zwischen Civilis und Cerialis“, beide von der Hand des Jacob Jordaens.(Anm.14)

Annemarie Stefes

1 Überliefert von Tacitus, Historiae IV, 13–27, 54–79; V, 14–26; vgl. Van der Coelen in De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, S. 155.
2 Henri van de Waal: Drie eeuween vaderlandsche geschieds-uitbeelding 1500-1800. Een iconologische studie, 2 Bde., Den Haag 1952, Bd. 1, S. 96; Van der Coelen in De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, S. 154–155. Wheelock und Hale wiesen allerdings in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Amsterdam des 17. Jahrhunderts die Herkunft der Protagonisten aus dem gehobenen Bürgertum betont wurde aus Skepsis gegenüber dem dynastischen Anspruch der Statthalterfamilie, Arthur K. Wheelock jr. jr.: Jan Lievens, A Dutch Master Rediscovered, Ausst.-Kat. Washington/Milwaukee/Amsterdam, London 2008, S. 184 und S. 293, Anm. 3.
3 Im Jahre 1654 hatte er eine Gedächtnisallegorie für Frederik Hendrik im Huis ten Bosch gemalt, 1656 die Allegorie „Curius Dentatus zieht ein Mahl von Rüben dem Golde des Feindes vor“ für das Amsterdamer Rathaus, von Joachim Wolfgang von Moltke: Govaert Flinck, Amsterdam 1965, Nr. 118 und 113. Die in Wasserfarben auf Leinwand skizzierten Entwürfe für die Lünettengemälde entstanden im August 1659.
4 Joachim Wolfgang von Moltke: Govaert Flinck, Amsterdam 1965, S. 42; Rudi H. Fuchs: Rembrandt en Amsterdam, Rotterdam 1968, S. 20, Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Bd. 4, Fabritius - Furnerius, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 975, Van der Coelen in De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, S. 155.
5 „Batavorum cum Romanis Bellum“, Antwerpen 1612.
6 Vgl. Van der Coelen in: De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, S. 146, 153 und 165; im 17. Jahrhundert gelangten die Kupferplatten Van Veens in die Hände Amsterdamer Verleger und wurden von diesen mehrfach gedruckt.
7 Vgl. Henri van de Waal: The Iconological Background of Rembrandt's "Civilis", in: Konsthistorisk Tidskrift 25, 1956, S. 11-25, S. 19.
8 Hans Teitler: De Opstand der 'Batavieren', Hilversum 1998, S. 20.
9 Dieser Überlieferung folgte z. B. Rembrandt in seiner Version der „Verschwörung des Civilis“, Stockholm, Nationalmuseum, Inv.-Nr. NM 578, Leihgabe der Kunstakademie, vgl. Buschhoff, in: Anne Röver-Kann, Anne Buschhoff: Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, S. 64–66.
10 Van der Coelen in De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, S. 148 und 165.
11 Das Gemälde befand sich 1662 im Rathaus, wurde aber spätestens 1664 wieder entfernt; möglicherweise aufgrund eines Mangels an ,decorum‘, denn die Einäugigkeit des Claudius Civilis wird bei Rembrandt offen zur Schau gestellt, während Flinck diese Kriegsverletzung durch die Profilansicht kaschiert.
12 De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 20044, Abb. 6.11; vgl. ebd. S. 157–158.
13 Das Gemälde, ohne kompositorischen Bezug zu der Flinck-Zeichnung, befindet sich ebenfalls im Königlichen Palast, De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, Abb. 6.17.
14 De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, bearb. v. Pieter Roelofs, Ausst.-Kat. Nimwegen, Museum Het Valkhof, Amsterdam 2004, Abb. 6.20 und 6.22. – Nicht ausgeführt wurde die „Schlacht bei Vetera“, zu der sich in der Hamburger Kunsthalle drei Vorzeichnungen von der Hand des Jürgen Ovens befinden, Inv.-Nr. 22342, 22343, 22344, Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, 2 Bde., Köln u.a. 2007, Nr. 638–640.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso unten links Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Wasserzeichen / Kettenlinien

Narrenkappe, ähnlich Heawood 1988 oder 2005 (um 1652 bzw. 1656); Kreuzstab flankiert von Buchstaben "ID"
23 mm (h)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) (NH Ad:01:02, fol. 48 als "Juriaan Ovens": "FF Flüchtiger Entwurf des Gastmal des Claudius Civilis. {Zwei Feldherren schließen bey Tische ein Bündnis} in Bleistift und Seppia. Oben rund 6.4.6.2"; NH Ad: 02: 01, S. 263: "Zwei Feldherrn reichen sich die Hand beym Mahle"); Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Ferdinand Bol and Govert Flinck: Rembrandts master pupils, Norbert Middlekoop Zwolle: Wbooks 2017, 271, S.118 und 200, Nr.50, Abb.S. 118 und S. 200

Stefes, Annemarie: Niederländische Zeichnungen 1450-1850. Katalog I Van Aken-Murant, hrsg. von Gaßner, Hubertus und Stolzenburg, Andreas, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 3, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011, S.225-226, Nr.333

Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Katalog, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 1, Köln u.a. 2007, S.256, bei Nr. 638

De Bataven. Verhalen van een verdwenen volk, Ausst.-Kat. Nijmegen 2004, S.157, Abb.6.10

Thea Vignau-Wilberg: Rembrandt auf Papier. Werk und Wirkung, Ausst.-Kat. München, Amsterdam, München 2001, S.164

Rembrandt, oder nicht? Zeichnungen von Rembrandt und seinem Kreis aus den Hamburger und Bremer Kupferstichkabinetten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Ostfildern-Ruit 2000, Nr.24 mit Abb.

1648 - Krieg und Frieden in Europa. Katalogband, Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum, Münster 1998, S.259, Abb.750

Rembrandt und sein Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1994, Nr.45, Abb.S. 52

Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts, hrsg. von Dario Gamboni, Georg Germann, Ausst.-Kat. Bernisches Historisches Museum, Bern, Bern 1991, Nr.98

Werner Sumowski: Drawings of the Rembrandt School. Fabritius - Furnerius, hrsg. von Walter L. Strauss, Bd. 4, New York 1981, S.2134-36, Nr.975

Friedrich Gorissen: Govaert Flinck, der Kleefsche Apelles 1616-1660. Gemälde und Zeichnungen, Ausst.-Kat. Kleve, Städtisches Museum Haus Koekkoek 1965, Nr.52

14

Otto Pächt: Rembrandt, München (1971) 1991, Abb.178

H. van de Waal: "Hagar in the Wilderness" by Rembrandt and his School, in: Steps toward Rembrandt. Collected Articles 1937-72, Amsterdam, London 1974, , S.28-43

14

Joachim Wolfgang von Moltke: Govaert Flinck, Amsterdam 1965, S.42-43, 178-180, Nr.D 36

Harry Schmidt: Jürgen Ovens. Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, S.248, Nr.70

R. H. Fuchs: Rembrandt en Amsterdam, Rotterdam 1968, S.21, Abb.34

Carl Nordenfalk: The Batavian's Oath of Allegiance. Rembrandt's only Monumental Painting, Stockholm 1982, Abb.S. 38

H. van de Waal: Tempesta en de Historie-Schilderingen op het Amsterdamsche Raadhuis, in: Oud Holland 56, 1939, S. 49-66, S.57-58, Abb.12

H. van de Waal: The Iconological Background of Rembrandt's "Civilis", in: Konsthistorisk Tidskrift 25, 1956, , S.18-19, Abb.8

Hans Schneider: Govert Flinck en Juriaen Ovens in het Stadhuis te Amsterdam, in: Oud Holland, 42, 1925, S. 215-223, S.218-219, Abb.1