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Giulio Bonasone
Grablegung Christi, um 1563
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Giulio Bonasone

Grablegung Christi, um 1563

Giulio Bonasone

Grablegung Christi, um 1563

Georg Ernst Harzen brachte die Zeichnung der „Grablegung Christi“ mit Tizian in Verbindung, wobei in seinen Inventaren eine gewisse Unsicherheit in der EinschĂ€tzung erkennbar ist. Dachte er zunĂ€chst an ein eigenhĂ€ndiges Werk des Meisters, so wies er die Zeichnung wenig spĂ€ter einem Tizian-Nachahmer zu. Warum er in seiner Beurteilung schwankte, ist nicht nachvollziehbar. Im Kabinett wurde das Blatt um 1890 unter den anonymen Italienern abgelegt, wobei eine sehr vorsichtige Zuordnung zu Tizian zumindest in ErwĂ€gung gezogen wurde. Danach blieb die Zeichnung nahezu 100 Jahre unbeachtet. Sie wurde erst Mitte der 1990er Jahre kurz nacheinander von Cirillo Archer und Thomas Ketelsen genauer analysiert. Beide brachten sie mit Giulio Bonasone in Verbindung, von dem ein 1563 datierter Kupferstich mit nahezu identischem Motiv existiert.
Die Zeichnung zeigt, wie der tote Christus von seinen NĂ€chsten ins Grab gelegt wird. Zu erkennen sind von rechts Joseph von Arimathia, Maria Magdalena, die Gottesmutter, Johannes, Nikodemus mit Turban und ein nicht nĂ€her bestimmbarer junger Mann.(Anm.1) Diese Gruppe um den Leichnam bildet die untere HĂ€lfte der Komposition. Oberhalb davon ist eine felsige Landschaft mit BĂ€umen erkennbar. SĂ€mtliche Figuren sind mit der Feder fein umrissen.(Anm.2) Eine Vorzeichnung in Kreide ist nur an wenigen Stellen erkennbar. Der Kopf der jugendlichen Figur ganz links außen und auch die Schultern und das herabfallende Haar der Maria Magdalena sind vollstĂ€ndig in Kreide ausgefĂŒhrt. Die Feder dient zur Konturierung einzelner Draperien; mit der Kreide werden vor allem Schatten angedeutet, aber keine Volumina herausgearbeitet. Schraffuren sind vor allem mit brauner Tusche in der dunklen Zone links und zwischen den einzelnen Figuren angesetzt. Im Gegensatz zur Figurengruppe erscheinen die in Kreide skizzierten Felsen auffallend leicht und eher angedeutet als konkret herausgearbeitet.
Große Teile der Komposition wurden offensichtlich zwecks Übertragung mit sehr feinen Löchern versehen. Dies wurde z. B. im Bereich der HĂ€nde von Nikodemus sowie beim Gewand von Joseph von Arimathia mit großer Sorgfalt ausgefĂŒhrt. Sogar bei den eher schematisch dargestellten Felsen sind diese Übertragungsspuren erkennbar.
Diese Perforierung sowie die weitgehende motivische Übereinstimmung mit dem 1563 datierten Kupferstich Bonasones haben Ketelsen und Cirillo Archer veranlasst, das Blatt als eigenhĂ€ndige Vorzeichnung fĂŒr die Graphik anzusehen.
Diese auf den ersten Blick zwingende VerknĂŒpfung erweist sich insofern als problematisch, als es keineswegs einfach ist, die auf dem Stich genannte Urheberschaft Tizians an der Komposition nachzuweisen. Vergleicht man die Darstellung auf dem Hamburger Blatt bzw. dem Kupferstich mit den zahlreichen ĂŒberlieferten Kompositionen Tizians zur Grablegung, so zeigt sich laut Cirillo Archer und Ketelsen die grĂ¶ĂŸte NĂ€he bei der heute der Werkstatt des Meisters zugeschriebenen Fassung im Prado.(Anm.3) Sie soll nach Ansicht von Wethey und anderen Kennern von Tizians ƒuvre um 1570 entstanden sein. Lediglich die Kopfhaltung Christi Ă€hnelt stĂ€rker derjenigen auf der ersten, noch eigenhĂ€ndigen Version der Grablegung von 1559.(Anm.4) Demnach besteht eine zeitliche Diskrepanz zwischen der Datierung des Stichs von 1563 und der Entstehung der vermeintlichen Vorlage um 1570.
Zur Lösung dieses Widerspruchs schlug Ketelsen vor, das Werkstatt-GemĂ€lde deutlich vorzudatieren. Cirillo Archer hielt es dagegen fĂŒr möglich, dass die Hamburger Zeichnung und der Kupferstich auf nicht mehr nachweisbare Zeichnungen fĂŒr das GemĂ€lde von 1559 zurĂŒckzufĂŒhren seien. In diesem Punkt nĂ€herte er sich einer Ansicht Catelli Isolas, die fĂŒr den Kupferstich eine ebensolche Ableitung vorgenommen hatte.(Anm.5)
Diese Theorie ist insofern plausibler, als sich Ketelsens Vorschlag einer Vordatierung in der Tizian-Forschung nicht hat durchsetzen können. Demnach ist die zweite Version offensichtlich sicher nach 1563 – also dem Datum der Fertigstellung des Druckes – gemalt worden.
Allerdings steht dagegen, dass Tizian nach Ketelsens ĂŒberzeugenden Überlegungen offensichtlich keine derart genauen Entwurfszeichnungen fĂŒr seine GemĂ€lde und schon gar nicht fĂŒr die danach entstandenen Drucke angefertigt hat. Da aber Bonasone Tizian als Erfinder angibt, ist zunĂ€chst davon auszugehen, dass er auf eine Vorlage des Meisters zurĂŒckgegriffen hat.
Erstaunlicherweise fand eine weitere Kopie nach Tizian in Salamanca bislang keine Beachtung.(Anm.6) Diese offensichtlich schwer datierbare Version zeigt von allen nachweisbaren Kopien die grĂ¶ĂŸte NĂ€he zur Hamburger Zeichnung bzw. zum Stich. Dies lĂ€sst sich anhand zahlreicher Details belegen: So ist z. B. das Gewand der stehenden Frau rechts mit dem wehenden Zipfel deutlich Ă€hnlicher als auf den Versionen von 1559 bzw. 1570. Viel ĂŒbereinstimmender sind auch das VerhĂ€ltnis der beiden stehenden MĂ€nner links oder die Physiognomie der Gottesmutter. Generell steht die Salamanca-Kopie aufgrund ihrer stĂ€rkeren Konturbetonung der Zeichnung bzw. dem Stich nĂ€her. Allerdings gibt es auch in dieser Version mehrere markante Unterschiede; so handelt es sich bei der im Hintergrund die HĂ€nde faltenden Person um eine Frau und nicht – wie bei Bonasone – um einen jungen Mann.
Angesichts dieser Kette von Ă€hnlichen Darstellungen der Grablegung ist sehr wohl denkbar, dass es noch eine weitere, heute nicht mehr nachweisbare Fassung gegeben hat. Diese hĂ€tte Elemente der frĂŒhen eigenhĂ€ndigen und der spĂ€ten Werkstatt-Fassung enthalten – genauso, wie Bonasone es auf seiner Zeichnung bzw. auf dem Stich zeigt.
Die Problematik des VerhĂ€ltnisses von Tizian-GemĂ€lde und Zeichnung bzw. Stich betrifft aber nicht nur die Figurengruppe. Sie berĂŒhrt ebenfalls die Art der Landschaftsdarstellung. Diese nimmt auf Zeichnung und Stich recht großen Raum ein, wohingegen sie auf sĂ€mtlichen GemĂ€ldefassungen allenfalls marginal erscheint. Hieraus ist mit Vorsicht zu folgern, dass diese VerĂ€nderung auf Bonasone zurĂŒckzufĂŒhren ist. HierfĂŒr spricht allein schon die Beobachtung, dass durch den Eingriff und den damit verbundenen Wechsel vom Quer- zum Hochformat die unmittelbar packende Wirkung der Erfindung Tizians deutlich abgeschwĂ€cht ist. Somit wĂ€re Bonasone – entgegen seiner eigenen Inschrift – auch als Entwerfer zu veranschlagen. Dass er sich selbst nicht nennt, dĂŒrfte zweifelsfrei damit zusammenhĂ€ngen, dass der Name Tizian verkaufsfördernder gewesen ist. Angesichts dessen erscheint es vorstellbar, dass Bonasone auf eine heute nicht mehr nachweisbare Grablegung Tizians zurĂŒckgriff und diese im Bereich des Hintergrundes maßgeblich verĂ€nderte.
Unklar ist auch die Funktion des Blattes. Bislang wurde es aus den oben aufgezeigten GrĂŒnden als Vorzeichnung fĂŒr den Kupferstich angesehen. Ein Vergleich der Figuren auf der Zeichnung mit denen auf dem Druck ergibt allerdings betrĂ€chtliche GrĂ¶ĂŸenunterschiede.(Anm.7) Technisch ist es daher kaum möglich, dass die Hamburger Zeichnung als direkte Vorzeichnung fĂŒr den Druck gedient hat. Möglicherweise wurde die auftretende GrĂ¶ĂŸendifferenz bei einer weiteren Übertragung der Komposition zur Erzielung der Seitenrichtigkeit wieder ausgeglichen. Als zweite Lösung des Problems wĂ€re anzunehmen, dass das Blatt zwar zunĂ€chst durchpunktet, dann jedoch aus unbekanntem Grund verworfen wurde. Dies wĂŒrde auch seine bemerkenswert gute Erhaltung erklĂ€ren. FĂŒr den Kupferstich dĂŒrfte Bonasone in diesem Fall eine weitere maßstabsgetreue Vorzeichnung angefertigt haben, die sich nicht erhalten hat.
Auch wenn somit eine eindeutige funktionale Zuordnung der Hamburger Zeichnung sehr problematisch ist, kommt ihr große Bedeutung zu. Dies liegt daran, dass sich Bonasone nur sehr wenige Zeichnungen – und diese zum Teil nur unter Vorbehalt – zuordnen lassen. Mit der Hamburger Zeichnung ist zumindest eine genauere Vorstellung von dessen Zeichentechnik im Zusammenhang mit Reproduktionsstichen möglich. Die oben beschriebene Technik weist ihn als akkuraten Zeichner aus, der aufgrund der Vorgabe, eine Reproduktion zu erstellen, kaum einen eigenen Stil entfalten kann. Ketelsen hat dem Hamburger Blatt zwei Zeichnungen in London und Berlin zugeordnet, die ebenfalls mit Kupferstichen zusammenhĂ€ngen.(Anm.8) Damit ist eine schmale Basis gewonnen, um den Zeichner Bonasone besser greifen zu können.
Vor diesem Hintergrund erscheint allerdings eine Beibehaltung der traditionellen Zuschreibung der ebenfalls in Hamburg bewahrten, stilistisch völlig unterschiedlichen EntwĂŒrfe Bonasones fĂŒr die Juno-Serie mehr als zweifelhaft (vgl. Inv.-Nr. 21079a).

David Klemm

1 Die Bestimmung der beiden Personen Joseph von Arimathia und Nikodemus ist aufgrund des Berichtes in der Bibel nicht eindeutig möglich. Joseph soll Ă€lter und wohlhabender gewesen sein, was aber in der Zeichnung und auch im Druck nicht sonderlich herausgestellt worden ist. Die hier vorgenommene Zuordnung folgt Pietro Aretinos Passionsgeschichte, die 1535 erschienen war, und die wohl fĂŒr Tizian als Inspirationsquelle von Bedeutung gewesen ist. Dort wird berichtet, dass Joseph Christus an den FĂŒĂŸen und Nikodemus den Erlöser an den Schultern gefasst habe. Vgl. Der spĂ€te Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei, hrsg. v. Sylvia Ferino-Pagden, Ausst.-Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, Venedig, Gallerie dell’Accademia, Wien 2007, S. 312.
2 Vgl. zum Folgenden Thomas Ketelsen: A Drawing for Giulio Bonasone’s Print after Titian’s „Entombment”, in: The Burlington Magazine 138, 1996, Nr. 1120, S. 446-453.
3 Madrid, Prado, Inv.-Nr. 441; Harold E. Wethey: The Paintings of Titian. Complete Edition, 3. Bde., London 1969, I, S. 91–92, Nr. 38.
4 Madrid, Prado, Inv.-Nr. 440; Harold E. Wethey: The Paintings of Titian. Complete Edition, 3. Bde., London 1969, I, S. 90, Nr. 37. Catelli war dagegen der Ansicht, dass der Kupferstich auf einer Vorzeichnung Tizians fĂŒr das eigenhĂ€ndige Prado-GemĂ€lde basiere. Ein genauer Vergleich belegt aber unzweideutig, dass Zeichnung und Druck die spĂ€te Version wiedergeben.
5 Immagini da Tiziano. Stampe dal sec. XVI al sec. XIX dalle collezioni del Gabinetto Nazionale delle Stampe, bearb. v. Maria Catelli Isola, Ausst.-Kat. Rom, Palazzo della Farnesina, Rom 1976, S. 32, Nr. 8.
6 Harold E. Wethey: The Paintings of Titian. Complete Edition, 3. Bde., London 1969, S. 92, Nr. 38, Copies 3.
7 Die Unterschiede betragen z. B. in einer Diagonale von 10 cm bis zu 1 cm.
8 Thomas Ketelsen: A Drawing for Giulio Bonasone’s Print after Titian’s „Entombment”, in: The Burlington Magazine 138, 1996, Nr. 1120, S. 446-453.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso im oberen Bereich: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L.1244); NH Ad : 02 : 01, S. 221 (als Werk eines Tizian-Nachahmers): "Die Grablegung. fol. Kreide, Feder. Bister. Nach Tiz. / gegens. v. Bonasone gest. B."; NH Ad : 01 : 03, fol. 115 (als Tizian): "Die Grablegung, Composition von sieben Figuren, wo links vor einer Felsenhöle[!] ein Mann sich die Augen trocknet. Breit mit Kreide angelegt, darauf sorgfĂ€ltig mit der Feder bestimmt und in Bister beendigt. 6.7. 8.4."; Legat Harzen 1863 an die "StĂ€dtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt ĂŒbereignet fĂŒr die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

P. LĂŒdemann, B. Aikema (Verfasser der Einleitung), Tiziano: le botteghe e la grafica, Firenze, Alinari 2016 - 285: Tiziano e l`Europa, S.189, Abb.S. 191 (Abb. 107)

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.99-101, Nr.64

Marzia Faietti: Giulio Bonasone disegnatore, in: Grafica d' Arte. Rivista di Storia dell' Incisione Antica e Moderna e Storia del Disegno, 11, 2000, Nr. 44, S. 2-10, S.6, mit Anm. 45

Thomas Ketelsen: A Drawing for Giulio Bonasone's Print after Titian's "Entombment", in: Burlington Magazine, 1996, S. 446-453, S.446-453, Abb.6

Madeline Cirillo Archer: The Illustrated Bartsch: Italian Masters of the Sixteenth Century, Commentary, Bd. 28, New York 1995, S.253, 319, Nr.bei Bartsch-Nr. 44, Abb.S. 252