Anonym, Rom, Ende 17. Jh. / Anfang 18. Jh. Giovanni Odazzi, ehemals zugeschrieben
Vision einer Nonne beim Messopfer,
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Anonym, Rom, Ende 17. Jh. / Anfang 18. Jh. Giovanni Odazzi, ehemals zugeschrieben

Vision einer Nonne beim Messopfer,

Anonym, Rom, Ende 17. Jh. / Anfang 18. Jh. Giovanni Odazzi, ehemals zugeschrieben

Vision einer Nonne beim Messopfer

Das Blatt wurde wohl von einem früheren Sammler Giovanni Lanfranco (1582–1647) zugewiesen. Diese Einschätzung wurde von Harzen und im ersten Inventar des Kupferstichkabinetts beibehalten, ist aber aus stilistischen Gründen nicht vertretbar. 1965 schrieb Rolf Kultzen die Zeichnung Giovanni Odazzi zu. Ausgangspunkt dafür war wohl die alte Aufschrift auf dem Verso, die den weniger bekannten, vornehmlich in Rom tätigen Künstler nannte. Kultzen erkannte in dem Blatt den Einfluss von Giovanni Battista Gaulli (1639–1709), bei dem der Ferri-Schüler Odazzi längere Zeit gearbeitet hat. Vergleichbar mit gesicherten Blättern Odazzis – z. B. in Düsseldorf – erschien Kultzen die häufig abbrechende Strichführung der Feder, verbunden mit einer wenig sorgfältigen Laviertechnik. Das Hamburger Blatt weist allerdings einen deutlich stärkeren Einsatz der Feder zur Definierung der Binnenstrukturen auf als beispielsweise das Odazzi zugeschriebene Blatt „Glorie des Hl. Stanislaus Kostka“.(Anm.1) Zudem ist die Lavierung allenfalls partiell flüchtig, vielmehr ist sie relativ häufig exakt an die Konturlinien heran- und nicht darüber hinausgeführt. Besser vergleichen lässt sich das Hamburger Blatt mit einer „Verkündigung“ im Louvre, wo Lavierung und Ausgestaltung der Falten ähnlich sind.(Anm.2)
Stefan Morét äußerte Zweifel an der Zuschreibung an Odazzi, wobei auch für ihn die Einflüsse von Gaulli unverkennbar sind.(Anm.3) Gegen Gaulli sprechen aber kompositionelle Schwächen, z. B. ist die Engelgruppe zu nah an die Personen vor dem Altar gerückt und die Figurengestaltung mit den dicklichen Körperteilen erscheint wenig elegant. Moréts Ansicht nach entstammt das Blatt dem römischen Kunstkreis. Er sieht Übereinstimmungen mit Zeichnungen, die Giuseppe Ghezzi zugeschrieben werden.(Anm.4) Vergleichbar ist die Art der Figurenbehandlung etwa die etwas dicklichen Arme und Beine oder die Betonung der Augen durch Lidschatten. Dennoch reichen diese Indizien für eine sichere Zuschreibung nicht aus. Zu einem entsprechenden Ergebnis kam unabhängig davon auch Ursula Fischer Pace, die Odazzi als Zeichner ausschloß, von einer römischen Herkunft des Blattes aber überzeugt ist.(Anm.5) Die Beibehaltung der alten Zuschreibung erscheint vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll.
Von Interesse ist, dass der Namenszug „Odazzi“ auf dem Hamburger Blatt und auf einer Düsseldorfer Zeichnung (Anm.6) sehr ähnliche Schwünge aufweist. Angesichts der oben angeführten Zweifel an der Zuschreibung, dürfte es sich nicht, wie Kultzen annahm, um Odazzis Signaturen handeln.
Die Szene ist nicht genau zu bestimmen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Nonne, die bei der Messe die Vision eines Engelskonzertes hat.
Das Verso zeigt eine locker gezeichnete Kreidestudie eines älteren Geistlichen, der offensichtlich von Christus eine Lilie erhält.(Anm.7) Kultzen identifizierte diesen als Filippo Neri, ebensogut könnte es sich um einen Jesuitengeistlichen handeln.

David Klemm

1 Düsseldorf, museum kunst palast, Sammlung der Kunstakademie (NRW); Rolf Kultzen: Mitteilungen aus dem Hamburger Kupferstichkabinett (I), in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 10, 1965, S. 181-190, S. 188.
2 Paris, Musée du Louvre, Département des Arts Graphiques, Inv.-Nr. 3344.
3 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 29.11.2007.
4 Würzburg, Martin-von-Wagner-Museum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 7235.
5 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle; nochmals bestätigt im März 2008.
6 Düsseldorf, museum kunst palast, Sammlung der Kunstakademie (NRW); Rolf Kultzen: Mitteilungen aus dem Hamburger Kupferstichkabinett (I), in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 10, 1965, S. 181-190, S. 189.
7 Denkbar ist auch, dass der Geistliche die Blume an Christus übergibt.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Umfassungslinie (Feder in Schwarz); unten links bezeichnet: "Lanfranco" (Feder in Braun); auf dem Verso unten links bezeichnet: "Gio. Odazzi" (Bleistift); unten links: Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Verso

Titel verso: Ein Geistlicher und das Christkind

Provenienz

Von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) 1820 in Rom aus unbekannter Quelle erworben; NH Ad : 02 : 01, S. 215 (als Giovanni Lanfranco); NH Ad : 01 : 03, fol. 98 (als Giovanni Lanfranco): "Die Heilige Messe im Moment wo der Priester die Hostie erhebt und in der Höhe viele Engel eine himmlische Musik ausführen. Am Fuße des Altars kniet eine Nonne inbrünstig betend. Bez Lanfranco. Meisterhafte Federzeichnung mit Tusche beendigt und mit einem Netze überzogen. auf der Rückseite die flüchtige Bleistiftskizze des H. Antonius von Padua dem das Christkind erscheint. 9.5. 13.0"; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.430, Nr.679

Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, hrsg. von Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe, Bd. 10, Dr. Ernst Hauswedell & Co. Verlag, Hamburg 1965, S.187, Abb.

Rolf Kultzen: Mitteilungen aus dem Hamburger Kupferstichkabinett (I), in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 10, Hamburg 1965, S. 181-190, S.188-190, Abb.9 (recto), 10 (verso)