Anonym, Mittelitalien (?), 15. Jahrhundert (?)
Zwei Szenen aus einer Heiligenlegende,
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Anonym, Mittelitalien (?), 15. Jahrhundert (?)

Zwei Szenen aus einer Heiligenlegende,

Anonym, Mittelitalien (?), 15. Jahrhundert (?)

Zwei Szenen aus einer Heiligenlegende

Die feine Federzeichnung ist spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert in englischen Sammlungen nachweisbar, wo sie als Werk Fra Angelicos eingestuft wurde. Auch Harzen folgte noch dieser Einschätzung und beurteilte die Zeichnung als „seltenes Hauptblatt“. Seitdem blieb die Arbeit auffallend gering beachtet. Einzig Bernard Berenson wagte eine nähere Einordnung, wobei sein Vorschlag „Ambrogio Borgognone“ wenig überzeugend ist.(Anm.1) Lorenza Melli, Florenz, dachte an einen möglichen Zusammenhang mit der Buchmalerei in Florenz im Quattrocento, wofür sich allerdings bislang keine Bezüge herstellen ließen.(Anm.2)
Gleichwohl ist die durch Bögen gerahmte szenische Aneinanderreihung von zwei (oder mehr) Ereignissen in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts keine Seltenheit. Neben einem dem Masaccio zugeschriebenen Gemälde in Berlin (Anm.3) lassen sich auch mehrere Cassone-Tafeln als Vergleiche anführen.(Anm.4)
Die unverkennbar religiöse Szenerie lässt aber weniger auf einen Cassone-Schmuck als vielmehr auf eine Anbringung in einem Kreuzgang schließen. Ihre inhaltliche Deutung ist schwierig, da die Darstellungen zu allgemein gehalten sind und die Personen keine Attribute aufweisen. Möglicherweise handelt es sich um zwei Szenen aus der Jugend eines Geistlichen. Die rechts angedeutete Architektur des Florentiner Doms gibt die Lokalisierung der Szenen in der Arnostadt vor.
Der von Harzen als „Simplicität“ bezeichnete Ausdruck der Figuren und ihre Anordnung im Raum machen die lange Zeit gültige Einordnung im Werk Fra Angelicos zumindest nachvollziehbar.(Anm.5) Vergleichbar wären auch Kompositionen von Benozzo Gozzoli, die ein ähnliches Verhältnis der Figuren zur umgebenden Architektur aufweisen. Eine Szene von Mönchen, die in einem Innenraum sitzen, findet sich auch in einem Fragment aus dem Chiostro degli Aranci in Florenz.(Anm.6)
Genaue Entsprechungen lassen sich allerdings nicht ausmachen. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die zeichentechnischen Aspekte des Blattes. Ungewöhnlich für eine vermeintliche Zeichnung des Quattrocento ist die auffallend klare und in sehr ruhiger Weise angelegte Komposition samt ihrer architektonischen Rahmung. Allenfalls weist die Linienführung Übereinstimmung mit den Sinopien jener Epoche auf, die häufig nur aus Konturlinien bestehen.(Anm.7) Entwurfszeichnungen komplexer Kompositionen aus dem Quattrocento, z. B. von Domenico Ghirlandaio, sind normalerweise bewegter und mit stärkeren Pentimenti angelegt.(Anm.8) Die „Klarheit“ des Hamburger Blattes lässt eher an eine Kopie nach einem Gemälde, Fresko oder nach einer Zeichnung als an einen Originalentwurf denken.
Stefan Morét hat erstmals die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Blatt um eine Zeichnung handelt, die möglicherweise deutlich später, nämlich im 18. Jahrhundert, entstanden sein könnte.(Anm.9) Dabei ist nicht einmal auszuschließen, dass es sich um eine Studie handelt, die absichtlich in einem vermeintlich alten Stil gezeichnet worden ist. Ein markantes Argument für diese Denkrichtung ist ein Detail auf der linken Blatthälfte. Dort sind zwei Schornsteine platziert, die an Venedig erinnern. Geht man nun davon aus, dass die linke Hälfte der Heiligenlegende mit der ansonsten eindeutig mittelitalienischen Architektur nicht in Venedig anzusiedeln ist, so wäre dem anonymen Zeichner (bzw. Fälscher ?) hier ein Fehler unterlaufen.

David Klemm

1 Laut Archiv des Kupferstichkabinetts.
2 Mündliche Mitteilung November 2007. Vgl. Annarosa Garzelli: Miniatura Fiorentina del Rinascimento 1440-1525. Un Primo Censimento, hrsg. v. Annarosa Garzelli, 2 Bde., Inventari e cataloghi toscani 19, Florenz 1985, wo keine Entsprechungen nachweisbar sind.
3 Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Masaccio, „Wochenstube einer vornehmen Florentinerin“; Inv.-Nr. 58 C.
4 Paul Schubring: Truhen und Truhenbilder der italienischen Frührenaissance. Ein Beitrag zur Profanmalerei im Quattrocento, 2 Bde., Leipzig 1915, Taf. XCIII, Geschichte des Joseph.
5 Vgl. z. B. dessen Fresken zum Leben des Hl. Nikolaus im Vatikan.
6 Florenz, Badia, Chiostro degli Aranci. Vgl. Fresco’s uit Florence, Ausst.-Kat. Rijksmuseum Amsterdam, Amsterdam 1969, S. 134–138.
7 Ebd., S. 137.
8 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 4519, Inv.-Nr. 529-1910.
9 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, November 2007.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Unten links: Signet der Sammlung Esdaile (L. 2617); rechts davon bezeichnet: "80 x" (Feder in Dunkelbraun); unten in der Mitte bezeichnet: "F_G_Fiesole." (Feder in Braun); auf dem Verso unten links: Signet der Sammlung Thane (L. 1544); unterhalb davon bezeichnet: "15.3. 10.5" (Bleistift); unterhalb davon in der linken Ecke bezeichnet: "1836 WE [ligiert]; unten rechts bezeichnet: "Beata Angelica de Fiesole" (Bleistift); unten rechts nummeriert: "No. 1320" (Bleistift); unten in der Mitte Stempel der Hambur

Provenienz

John Thane (1748-1818), London (L. 1544; 2433 PRÜFEN!!!); William Esdaile (1758-1837), London (L. 2617); Georg Ernst Harzen (1790-1863) (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 210 (als Fra Angelico); NH Ad : 01 : 03, fol. 97-98 (als Fra Angelico): "Zwey Compositionen auf einem Blatte durch einen Pfeiler getrennt. Abtheilung Links eine Straße wo vor einem Klostergebäude ein junger Geistlicher einen Mann in Gegenwart eines Bischofs ehrfurchtsvoll die Hand küßt, welche durch den Nimbus vor vier andern anwesenden Geistlichen ausgezeichnet sind. Hinten ein Stadtthor. Abtheilung rechts ein Capitelsaal wo vier Geistliche auf einer Bank sitzend, einer von ihnen den Nimbus tragend, aus einem Buche vorlesend. Seltenes Hauptblatt Mit feiner Feder angelegte, leicht schraffierte Zeichnung unverkennbar in der Composition und einem eigenthümlichen Ausdruk [?] was Simplicität und Seelenadel in den Köpfen den Stempel des selben Meisters tragend. 15.3. 10.5. Samml. Esdaile 1836." Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1969 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.385-386, Nr.586

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.12, Nr.28

Wilhelm Koopmann: Einige weniger bekannte Handzeichnungen Raffaels, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstammlungen 12, 1891, S. 40-49, S.41

A Catalogue of the Very Important Collection of the late William Esdaile, Esq. Part III. Comprising Drawings, by Italian, German, Flemish, and Dutch Masters; which will besold by Auction,, Christie and Manson, 18.-23. 6. 1840, London, 1840, S.4, Nr.16