Anonym, Florenz, 2. Hälfte 15. Jahrhundert
Figur Johannes' des Täufers in einer reich geschmückten Nische,
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Anonym, Florenz, 2. Hälfte 15. Jahrhundert

Figur Johannes' des Täufers in einer reich geschmückten Nische,

Anonym, Florenz, 2. Hälfte 15. Jahrhundert

Figur Johannes' des Täufers in einer reich geschmückten Nische

Die Zeichnung weist eine kontroverse Zuschreibungsdebatte auf, wobei die zur Diskussion gestellten italienischen Künstler – allesamt aus dem 15. Jahrhundert – stilistisch sehr unterschiedlich sind. Einer italienischen Sammlerinschrift zufolge stammt das Blatt von Andrea Castagno, wohingegen der englische Sammler Samuel Woodburn Sandro Botticelli für den Zeichner hielt. Diese Ansicht übernahmen Harzen und zunächst auch das Hamburger Kabinett, bis man sich zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt für eine Zuweisung an die Schule Botticellis entschied. Antonio Morassi (Anm.1) hielt dagegen Filippino Lippi als Urheber für wahrscheinlich, wohingegen Adolf Gottschewski sich an Giuliano da Maiano erinnert fühlte.(Anm.2) Letztlich hat Anna Maria Petrioli Tofani per Kartonnotiz den Umkreis Maso Finiguerras ins Spiel gebracht. Diese Ansicht wurde von Lorenza Melli abgelehnt, die aber ebenfalls von einer Entstehung in Florenz in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts überzeugt ist.(Anm.3)
Für eine Herkunft aus dem Florentiner Kunstkreis spricht neben einer allgemeinen stilistischen Einschätzung auch die Ikonographie, wurde doch Johannes der Täufer als Schutzpatron der Stadt dort besonders häufig dargestellt. Vom Typus des stehenden und die rechte Hand erhebenden Täufers lassen sich um 1450 in Florenz eine Reihe von Vergleichsbeispielen benennen; so z. B. zwei zwischen 1444 und 1453 entstandene Figuren Michelozzos (um 1396–1472).(Anm.4) Beide Statuen zeigen Johannes aber mit einem Umhang, wohingegen das Fellgewand gut sichtbar bleibt. Ihre Wirkung ist dadurch imposanter, während der Johannes auf dem Hamburger Blatt jünglingshafter erscheint. Dieses Element findet sich stärker bei Benedetto da Maianos 1476–1481 entstandener „Täuferfigur“.(Anm.5) Allerdings fehlt hier der Zeigegestus.
Charakteristisch für den Anonymus sind eine unverkennbare Detailfreude und ein penibler Zeichenstil. Auffallend ist weiterhin ein ausgeprägtes ornamentales Interesse. All diese Punkte könnten darauf hindeuten, dass es sich hier um den Entwurf eines Goldschmiedes handelt. Typisch für den Zeichner ist zudem eine sichere Figurenbeherrschung, während andererseits einige Unsicherheiten in der exakten Anwendung der Perspektive unübersehbar sind. Die Komposition im Allgemeinen und die Detailbehandlung im Speziellen wirken voll ausgereift. Es gibt so gut wie keine Pentimenti. Dies deutet auf eine abschließende Entwurfszeichnung oder die exakte Nachzeichnung nach einer bereits fertigen Zeichnung oder vielleicht sogar nach einem Kunstwerk hin. Vor diesem Hintergrund erweist sich eine Zuschreibung an einen der oben genannten Zeichner als problematisch. Sinnvoller erscheint – wie auch Hein-Th. Schulze Altcappenberg vorschlug – eine Zuweisung an einen in Florenz tätigen Künstler der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts mit unverkennbarem Bezug zum Kunsthandwerk.(Anm.6)
Schwer bestimmbar ist die Funktion der Zeichnung. Laut Aby Warburg handelt es sich möglicherweise um den Entwurf zu einer Dekoration eines Prozessionsfestwagens.(Anm.7) Hierfür scheint die Figur jedoch zu zart und die Gestaltung zu kleinteilig angelegt. Adolf Gottschewski dachte an den Entwurf für eine Gestühlsintarsie.
Grundsätzlich lässt der für Steinwerke typische Rahmen an einen skulpturalen Zusammenhang denken. Formal verwandt ist die Anordnung einer Nischenfigur mit Überdachung und ornamental reich verzierten seitlichen Begrenzungen am unteren Teil der Kanzel von S. Croce in Florenz, die Benedetto da Maiano um 1480/85 geschaffen hat.(Anm.8) Allerdings ist die Hamburger Lösung mit dem nach oben freien Baldachin und mit den nach vorn auslaufenden seitlichen Begrenzungen doch unterschiedlich. Eine formal und motivisch gut vergleichbare Arbeit eines Goldschmiedes ließ sich bislang nicht nachweisen. Ähnlich detailliert und ornamental überladene Nischenarchitekturen finden sich im sogenannten North Italian Album im John Soane’s Museum in London.(Anm.9) Diese Zeichnungen belegen ein Interesse an derartigen Ornamenten in Oberitalien im späten 15. Jahrhundert. Ob die Farbspuren an der Figur des Täufers auf eine mögliche Farbfassung hindeuten sollen, ist nicht eindeutig zu beurteilen.

David Klemm

1 Archiv des Kupferstichkabinetts.
2 Ebd.
3 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, November 2007.
4 Vgl. Joachim Poeschke: Die Skulptur der Renaissance in Italien, Bd. 1: Donatello und seine Zeit, München 1990, S. 124, Nr. 160–161.
5 Joachim Poeschke: Die Skulptur der Renaissance in Italien, Bd. 1: Donatello und seine Zeit, München 1990, S. 196, Nr. 284.
6 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28.10.2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
7 Hinweis im Archiv des Kupferstichkabinetts. Die Notiz Aby Warburgs ist eines der ganz wenigen Zeugnisse einer konkreten Auseinandersetzung des berühmten Hamburger Kunsthistorikers mit der Sammlung italienischer Handzeichnungen; vgl. Einleitung.
8 Joachim Poeschke: Die Skulptur der Renaissance in Italien, Bd. 1: Donatello und seine Zeit, München 1990, S. 196–197, Nr. 286–288.
9 Lynda Fairbairn: Italian Renaissance Drawings from the Collection of Sir John Soane’s Museum, 2 Bde., London 1998, I, S. 12–51, vor allem S. 36.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso oben in der Mitte bezeichnet: "Original di[?, Buchstaben z. T. durch Passepartout verdeckt] Andrea del / Castagno Pittor / Fiorentino del / 1470 inv[?]." (Feder in Baun); unterhalb davon bezeichnet: "Sandro Filippi Botticelli"; (Tomaso[?] Lawrence" (Bleistift); unterhalb davon bezeichnet: "5.4 8.0" (Bleistift); unten in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328)

Provenienz

Sir Thomas Lawrence (1769-1830), London (L. 2445); wahrscheinlich Samuel Woodburn (1786-1853), London (L. 2588); wahrscheinlich auf dessen Nachlaßauktion 1854 in London (Lugt Ventes 21988) von Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244) erworben (vgl. NH Ad : 03 : 012, Sp. 12 unter Botticelli); NH Ad : 02 : 01, S. 210 (als Sandro Botticelli); NH Ad : 01 : 03, fol. 91 (als Sandro Botticelli): "St Johann Baptist stehend und predigend in einer architectonisch reich verzierten Nische mit Krönung vor Vasen und Blumengewinde. Delikat und trefflich ausgeführt Federzeichnung auf Pergament in Seppia und etwas Saftfarbe beendigt der Kopf des Heiligen ist sehr ausdrucksvoll. 5.4. 8.0 Samml. T. Lawrence" Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.381-382, Nr.579

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.13, Nr.35

Wilhelm Koopmann: Einige weniger bekannte Handzeichnungen Raffaels, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstammlungen 12, 1891, S. 40-49, S.41