Albrecht Dürer
Zwei Proportionsstudien eines männlichen Akts, um 1513
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Albrecht Dürer

Zwei Proportionsstudien eines männlichen Akts, um 1513

Albrecht Dürer

Zwei Proportionsstudien eines männlichen Akts, um 1513

Das Blatt gehört zu einer Gruppe von konstruierten Aktzeichnungen, die in engem Zusammenhang mit Dürers Proportionslehre stehen. Die „Vier Bücher von menschlicher Proportion“ erschienen erst 1528 in Nürnberg, Dürers Beschäftigung mit dem Thema reicht jedoch zurück bis zu den Proportionsstudien des „Adam und Eva“-Stiches. Vor allem um 1512–1515 entstanden zahlreiche Proportionsstudien, davon befinden sich die meisten im Dresdner Skizzenbuch.(Anm. 1) Einige Blätter wurden vor der Bindung des Buches herausgenommen und sind heute in verschiedenen Sammlungen verwahrt.(Anm. 2) Wie bei der Hamburger Studie ist auf mehreren Blättern eine Korrektur des Konturs zu bemerken, die Bock im Zusammenhang mit der Erlanger Zeichnung auch als „Verdoppelung der Umrisse“ bezeichnet hat.(Anm. 3) Die Hamburger Zeichnung weist zudem Beischriften und eine schematische Linieneinteilung, jedoch keine Messeinträge auf.
Die Darstellung zeigt einen schmalen Mann von acht Kopflängen in der üblichen, für die Druckversion übernommenen Seiten- und Vorderansicht und den separat im Profil wiedergegebenen Arm. Die Figur ähnelt damit dem „Typ B“ der Proportionslehre.(Anm. 4) Im dritten Buch der Proportionslehre behandelt Dürer die Vergrößerung und Verkleinerung der menschlichen Figur nach Höhe, Breite und Dicke unter Beibehaltung der einmal gewählten Proportion. In der Hamburger Zeichnung hat Dürer, wie am oberen Rand vermerkt, einen Mann 1/7 dünner und schmaler als „den ersten Mann aa bb“ gezeichnet. Die ober- und unterhalb der Seiten- und Vorderansicht vermerkten Buchstaben „j“ und „k“ bezeichnen die mit dem „Verkehrer“ – eines Hilfsmittels zur Umkonstruktion – vorgenommene proportionale Veränderung. Demzufolge ging Dürer bei dem Hamburger Blatt von einem Modell „aa bb“ aus, das um 1/7 breiter und dicker gezeichnet war. Da eine solche Darstellung nicht bekannt ist, könnte es sich bei diesem Modell um ein verloren gegangenes Blatt handeln.(Anm. 5) Hinz erklärt die Korrekturen des Profilkopfes auf dem Hamburger Blatt mit der Tatsache, dass der Kopf meist über einem Quadrat und dadurch ursprünglich eckiger konstruiert wurde.(Anm. 6) In der Zeichnung wurde dies dann schmaler nachkorrigiert. Für die Ableitung von einem vorhandenen Modellblatt sprechen auch die fehlenden Maßeinträge. Bei unserem Blatt handelt es sich daher vermutlich um ein weiteres Experiment Dürers, das jedoch nicht in die gedruckte Version übernommen wurde. Vergleichbare Darstellungen eines Mannes von acht Kopflängen finden sich im Dresdner Skizzenbuch auf fol. 107 r und 107 v, sowie auf fol. 124 r.(Anm. 7)
Rupprich deutet die Hamburger Zeichnung als eigenhändige Reinzeichnung Dürers.(Anm. 8) Als Vorstudie könnte eine Proportionsstudie in London gedient haben, die unserer sehr ähnlich ist.(Anm. 9) Die Autorschaft Dürers ist allgemein anerkannt, Panofsky und Tietze datierten das Blatt auf Grund der Nähe zu den Dresdner Skizzenbüchern um 1513. Wenig überzeugend ist dagegen Strauss’ Vermutung, es handele sich bei der Hamburger Zeichnung um eine Werkstatt-Kopie nach der Londoner Studie.(Anm. 10) Die relativ steile Handschrift findet sich auch auf zahlreichen anderen Proportionsstudien, wie der unserem Blatt sehr verwandten Zeichnung im Fogg Art Museum, und spricht daher für die Eigenhändigkeit Dürers.(Anm. 11)

Peter Prange

1 Dresden, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek, Inv.-Nr. R 147 f, 78 Bll., darunter datierte Zeichnungen von 1507–1519, ehemals im Besitz des Grafen Heinrich von Brühl (1700–1763), vgl. Das Skizzenbuch Albrecht Dürers in der Königlichen Bibliothek in Dresden, hrsg. von Robert Bruck, Straßburg 1905; Deutsche Kunst der Dürer-Zeit. Ausst.-Kat. Dresden 1971, S. 140–143, Nr. 163–175.
2 Vgl. die Auflistung bei Winkler 1938, S. 74.
3 Erlangen, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek, um 1515, Inv.-Nr. II B 14, vgl. Elfried Bock: Die Zeichnungen in der Universitätsbibliothek Erlangen, Frankfurt am Main 1929, S. 51, Nr. 157, Abb.
4 Vgl. Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, bearb. von Rainer Schoch, Matthias Mende, Anna Scherbaum, Bd. III, Buchillustrationen, München, Berlin 2004, S. 344, Nr. 277.12.
5 Ich danke Berthold Hinz (Brief vom 29.5.2005) und Christian Ring für wichtige Hinweise zu der Zeichnung.
6 Hinz (Anm. 5).
7 Bruck 1905 (Anm. 1), Taf. 25, 26 und 43.
8 Rupprich 1966, Bd. 2, S. 427.
9 Ebd.; London, British Museum, Sloane 5228/176r, vgl. Strauss 1974, Bd. 5, S. 2520, Nr. 1514/21, Abb.
10 Strauss 1974, Bd. 5, S. 2522, HP:1514/22 mit falscher Angabe „1/9“ statt „1/7“. Nicht nachweisbar ist die dort angegebene Provenienz des Hamburger Blattes aus dem Besitz des Prinzen Albert von Sach-sen-Teschen, vgl. S. 2409.
11 Proportionsstudie eines Mannes von sieben Kopflängen in Seiten- und Vorderansicht, 1519–1523, Harvard University, Fogg Art Museum, Bequest Charles A. Loeser, Inv.-Nr. 1932.375, vgl. Old Master Drawings. Selections from the Charles A. Loeser Bequest, hrsg. von Konrad Oberhuber (= Fogg Art Museum Handbooks, Vol. I), Cambridge 1979, S. 98, Nr. 43, Abb.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Oben bezeichnet: "Diser man ist 1/7 dünner und schmeler dan der erst man awff der linij aa bb" (Feder in Braun)

Unten monogrammiert: "AD" (Feder in Braun); auf altem Untersatzpapier nummeriert: "1047" und bezeichnet (nicht lesbar); auf dem Verso unten links auf dem Untersatzpapier bezeichnet: "Geschenk Wigandt Rom 1852","6.8 9.3" (Bleistift); Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1328); der Zeichnungsbogen auf dem Verso bezeichnet (Feder nicht lesbar).

Wasserzeichen / Kettenlinien

Zwei Halbmonde(?), äußerst schlecht erkennbar

Provenienz

laut Harzens Eintrag in seinem Inventar Baron Fürst; Friedrich Wigand (c. 1800-1853), Rom; Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244), NH Ad: 01: 04, fol. 137: "Zeichnung für Dürers Buch der menschlichen Proportion. Ein Mann von vorne, ein anderer {...} von der Seite und ein Arm. Federzeichnung in reinen [?] und schönen Umrissen mit vielen handschriftlichen Erklärungen. Uberschrift: diser man ist 1/7 dünner und schmaler den der erst man awff der linj aa bb. Saml d. Baron Fürst?"; und Ad: 02: 01, S. 232; Legat Harzen 1863 an die „Städtische Gallerie“ Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

Hurttig, Marcus Andrew: Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2011, S.84, Nr.13, Abb.S. 83

Peter Prange: Deutsche Zeichnungen 1450-1800. Katalog, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 1, Köln u.a. 2007, S.149-150, Nr.292

Walter L. Strauss: The complete Drawings of Albrecht Dürer. Human Proportions, Bd. 5, New York 1974, S.2520, Nr.HP 1514/22, Abb.S. 2520

Albrecht Dürer 1471 1971, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, München 1971, S.250, Nr.489

Dürer. Schriftlicher Nachlass, hrsg. von Hans Rupprich, Bd. 2, Berlin 1966, S.427, Nr.bei Nr. 8, Abb.211

Erwin Panofsky: Albrecht Dürer, Bd. 2, Princeton 31948, S.150, Nr.1609

Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers 1510-1520, Bd. 3, Berlin 1938, S.74, Nr.bei Nr. 648

Hans Tietze, Erika Tietze-Conrat: Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers. Der reife Dürer. Von der venezianischen Reise im Jahre 1505 bis zur niederländischen Reise im Jahre 1520 nebst Nachträgen aus den Jahren 1492-1505, Bd. 2, Teilbd. 1, Basel, Leipzig 1937, S.91, Nr.567

Albrecht Dürer. Sonderausstellung der Freunde der Kunsthalle e. V. Hamburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1936, Nr.24

Albrecht Dürer, Ausst.-Kat. Germanisches Museum, Nürnberg 1928, S.107, Nr.201

Albrecht Dürer, Ausst.-Kat. Germanisches Museum, Nürnberg 1928 (Dritte Auflage), S.107, Nr.201