Archiv

Die absurde Schönheit des Raumes

7 Künstler*innen vs. Ungers
Dominik Halmer, Installationsansicht Die absurde Schönheit des Raumes, Hamburger Kunsthalle 2020, Foto: Fred Dott

Presseinformation

Für das Ausstellungsprojekt Die absurde Schönheit des Raumes haben sich sieben junge Künstler*innen mit der Galerie der Gegenwart als »Resonanzraum« für die Entwicklung und Präsentation von Kunst beschäftigt: Der strahlend weiße Gebäudekomplex der Hamburger Kunsthalle des Architekten Oswald Mathias Ungers mit seiner streng durchkomponierten quadratischen Formgebung im Inneren und Äußeren ist die Bezugs- und Inspirationsquelle für teils eigens für das Museum entstandene Arbeiten. Die Spannweite der künstlerischen Positionen ist medial viel-fältig: Sie reicht von collagenhaften Raumgefügen aus Gemälden und Tierpräparaten; über ein individuell an den Raum angepasstes Videoprojektionsmapping, das die Besucher*innen choreografisch miteinbezieht; und karibisch anmutende Installationen, in welche die Betrachter*innen eintauchen sollen sowie zur Interaktion eingeladen werden; bis hin zu neuen malerischen Dimensionen, bei denen Arbeiten aus Transformationsprozessen entstanden sind, welche die Grenzen zur Bildhauerei verwischen.

Fasste bis Anfang des 20. Jahrhunderts der Rahmen ein Gemälde, ist es heute der Raum, der ein künstlerisches Werk umfangen kann und damit völlig neue Dimensionen erschließt. Die vornehmlich als »Raumkunst« zu begreifenden Positionen folgen dem Prinzip des »offenen Kunstwerkes«, bei dem die Produktion, Interpretation und Betrachtung in einer fließenden Beziehung zueinander stehen. Die Künstler*innen, das Museum und die Besucher*innen – ihre Vorstellungen, Ansichten, Meinungen und Empfindungen – haben dabei gleichen Anteil am Umgang mit der Kunst und erproben die Möglichkeiten eines offenen Museums.

Jan Albers (*1971 in Wuppertal, lebt in Düsseldorf) »baut Bilder« – wie er selbst sagt –, die Malerei, Skulptur und Architektur zugleich sind. Seiner Formfindung geht ein zerstörerischer Prozess voraus, bei dem Schlagen, Fräsen, Pressen und Verbiegen das Ausgangsmaterial bis an den Rand der Auflösung führt. Bei seiner Arbeit für die Ausstellung reichen zerfurchte Kolosse bis knapp unter die Decke des Raumes. Dem gegenüber sind einfache, makellose Kuben aus Bronze gestellt. Die ästhetische Spannung von Albers Werk ergibt sich nicht zuletzt in Hinblick auf den Kontrast zur formalen Klarheit der Architektur von Ungers.

Sol Caleros (*1982 in Caracas, Venezuela, lebt in Berlin) immersive Installationen bzw. Environments umgeben die Besucher*innen mit farbenfrohen Ornamenten und karibischen Palmen völlig. Die Ausstellung zeigt eine Geldwechselstube und eine Terrasse, die als »exotisch« und damit als etwas Fremdes, Überseeisches oder als »Ort der Sehnsucht« vor allem von Europäer*innen aufgefasst werden. Diese klischeebehaftete Vorstellung von Identität/Nationalität zu hinterfragen, ist die Absicht der Künstlerin. Mit Casa de Cambio versucht sie die Hyperinflation der aktuellen Wirtschaftskrise in Venezuela dem Verlangen nach dem »Exotischem« gegenüberzustellen.

Bei Dana Greiners (*1988 in München, lebt ebenda) Video- und Soundinstallation wird die Ausstellungsarchitektur zur Bühne und die Besucher*innen zu Akteur*innen. In einer Aufführungssituation in sieben Akten lässt die Künstlerin abstrakte Formen, gleißende Farben und formdynamische Projektionen den Raum dominieren. Statische Objekte scheinen sich dynamisch zu verändern, Klänge an den Wänden zu materialisieren und wechselndes Licht lenkt die Wahrnehmung. Die Betrachter*innen sind aufgefordert, sich auf die stetige Erweiterung der Dimensionen einzulassen, andere Standpunkte zu suchen und so auf die wechselnden Arrangements zu reagieren.

Dominik Halmer (*1978 in München, lebt in Berlin) hat seine Wandinstallationen als Antwort auf die architektonische Situation der Galerie der Gegenwart entwickelt – sie verweisen auf den Moment der Bild-schaffung im Atelier. Die geformten Leinwände, die sich von den am Boden stehenden Holzplatten herauszulösen scheinen, legen einen anfänglichen Bewegungsimpuls nahe. Die Gemälde verlassen sukzessive die Wand: Einige hängen, andere Teile lehnen nur noch daran. Das zweidimensionale Bild tritt den Betrachter*innen als plastisches, dreidimensionales Objekt gegenüber und suggeriert einen Aufbruch – weg von der Wand!

Franziska Reinbothe (*1980 in Berlin, lebt in Leipzig) bleibt von den ausgewählten Künstler*innen am dichtesten am herkömmlichen »Tafelbild« und bricht – im Wortsinn – gleichzeitig mit diesem am stärksten. Ihre Arbeiten werfen die Frage danach auf, was ein Bild ist. So interessiert Sie sich in der Malerei für die Rückseite eines Bildes und seine Ränder. Um diese sichtbar zu machen, staucht sie Leinwände zusammen, legt Keilrahmen frei oder verzichtet ganz auf sie. Sie dehnt, faltet, zerbricht, durchschneidet oder vernäht ihre Bilder nach Beendigung des Malprozesses. Einige ihrer Gemälde ragen weit in den Raum hinein, andere haben sich bereits vollständig von der Wand gelöst.

Helga Schmidhuber (*1972 in Wiesbaden, lebt in Bad Schwalbach) dienen gefundene Objekte aus Flora und Fauna häufig als Ausgangspunkt für ihre Skulpturen und Gemälde, die sie zu raumgreifenden Installationen wachsen lässt. Dafür schafft sie Collagen aus Paravents, Tierpräparaten, Schädeln, Sound u. ä. Das als ehemaliges Maskottchen des NDR bekannte Walross Antje als Leihgabe aus dem Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg ist das Zentrum ihrer Arbeit ARCHE endemisch. Schmidhuber macht darin die Galerie der Gegenwart zum Schauplatz einer Apokalypse mit Überlebenden eines Unglücks. Dabei enttarnt sie das Bedrohliche im Schönen, in dem sie scheinbar harmlose Dinge neu ordnet und inszeniert.

Claudia Wieser (*1973 in Freilassing, lebt in Berlin) polarisiert mit einfachen Formen und handwerklicher Ausführung. Dem klaren modularen Raumkonzept für die Galerie der Gegenwart stellt sie Ornament und Dekoration gegenüber. Die Ausstellung zeigt unter anderem einen großen, spiegelglatt polierten Würfel aus Edelstahl, bei dem die Betrachter*innen auf ihr Spiegelbild blicken, auf andere Personen und den sie umgebenden Raum. Durch gezielte Eingriffe gelingt es der Künstlerin, das gewohnte Wand-Raum-Gefüge der Museumsräume aufzubrechen. Sie zielt darauf ab, dass die Besucher*innen Räume, ihre Bestimmung und Aufladung bewusst wahrnehmen.

Beteiligte Künstler*innen: Jan Albers, Sol Calero, Dana Greiner, Dominik Halmer, Franziska Reinbothe, Helga Schmidhuber und Claudia Wieser

Kuratoren: Prof. Dr. Alexander Klar (Direktor Hamburger Kunsthalle) und Jan Steinke (Wissenschaftlicher Volontär)

Die Ausstellung wird gefördert von der Deutschen Bank, die sich bereits seit 2007 für die Sammlung Kunst der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle engagiert und im Rahmen dieser Partnerschaft seit 2015 jährlich zwei Ausstellungsprojekte unterstützt. Weitere Förderung kommt von der Philipp Otto Runge Stiftung, die durch ein Fellowship die Beteiligung des Künstlers Dominik Halmer ermöglicht, sowie von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg.