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Mark Rothko

Die Retrospektive

Der amerikanische Maler Mark Rothko ist einer der bedeutendsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus. Die Hypo-Kulturstiftung in München und die Hamburger Kunsthalle zeigen zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder eine Retrospektive dieses Künstlers in Deutschland. Die Ausstellung umfasst mehr als 70 Gemälde und etwa 40 Arbeiten auf Papier mit wichtigen Werken aus allen Phasen seines Schaffens. Gezeigt wird eine Vielzahl von Bildern, die noch nie zuvor in Europa zu sehen waren. Die Ausstellung wird dabei maßgeblich unterstützt durch Leihgaben aus dem Besitz der Familie des Künstlers. In der Gegenüberstellung mit herausragenden Werken von Caspar David Friedrich(z. B. Der Mönch am Meer, 1809) und Pierre Bonnard werden die historischen Vorläufer Rothkos deutlich und das Spannungsfeld, in dem sein Werk sich positioniert, sinnlich erlebbar. Eine vergleichbare Gelegenheit, Rothkos Werk in dieser Dichte und Qualität zu sehen, wird sich in Europa auf lange Sicht nicht wieder bieten.

Nach seinem frühen Interesse am Surrealismus wandte sich Rothko seit etwa 1946 ganz der Abstraktion zu: In seinen »multiforms«, vielfältig gestaffelten, spielerisch angeordneten Farbfeldern, stellte er die Wirkung der Farben in ihrem Mit- und Gegeneinander in den Vordergrund. In seiner berühmtesten Schaffensphase ordnete er seit etwa 1950 zumeist drei horizontale farbige Rechtecke mit verlaufenden Rändern  übereinander an. Wie kein Künstler zuvor stellte er die Ausdruckskraft der Farbe allein, frei von allen erzählerischen oder figürlichen Elementen, in den Mittelpunkt der Malerei und schuf Gemälde von einer hohen emotionalen Intensität.
Rothko selbst sagte, dass es ihm um den Ausdruck der grundlegenden menschlichen Emotionen gehe: »Ich bin kein Abstraktionist. Mich interessiert nicht das Verhältnis von Farbe oder Form oder irgend so etwas. Mich interessieren nur die grundlegenden menschlichen Emotionen: Tragödie, Ekstase, Schicksal … Die Tatsache, dass Leute zusammenbrechen und weinen, wenn sie mit meinen Bildern konfrontiert werden, zeigt, dass ich diese Gefühle kommunizieren kann … Die Leute, die vor meinen Bildern weinen, haben die gleiche religiöse Erfahrung wie ich, als ich sie gemalt habe.«
Bei eher geringer Beleuchtung und aus unmittelbarer Nähe betrachtet, entfalten die Gemälde ihre überwältigende Kraft und entgrenzende Wirkung, die der Künstler mit einem religiösen Erleben verglich. Die Ausstellung lässt keinen Zweifel daran, dass die leuchtenden, farbintensiven und hoch-emotionalen Gemälde ihre Betrachter gerade im Original mit ungeheurer Wirkung in ihren Bann ziehen und bis heute nichts von ihrer nahezu magischen Anziehungskraft verloren haben.

Mark Rothko. Die Retrospektive bindet die Arbeiten des Amerikaners dabei in einen ungewöhnlichen Kontext ein. Zwei historische Vorläufer markieren die malerischen Pole, zwischen denen Rothko um seine abstrakte Bildsprache ringt. Auf der einen Seite steht das romantische europäische Erbe Caspar David Friedrichs. In dessen Landschaften eröffnen sich dem Betrachter (stellvertreten durch Rückenfiguren im Bild) mit Rothkos Bildern vergleichbare persönliche Empfindungs- und Reflexionsräume. Dieser Vergleich wird in der Ausstellung ganz unmittelbar durch die Hängung erfahrbar, die Rothkos große, farbintensive Abstraktionen neben Gemälden wie dem Wanderer über dem Nebelmeer oder dem Mönch am Meer von Friedrich präsentiert. In der Romantik stand der Mönch am Meer stellvertretend für den Betrachter im Bild vor der unendlichen Weite und der bedrohenden dunklen Leere. Rothko führt mit den späten Black and Gray Gemälden unmittelbar an diese Schwelle des Bedrohlichen und Überwältigenden heran.

Der berühmte amerikanische Kunsthistoriker Robert Rosenblum beschrieb dieses Phänomen bereits 1975 als das »Abstrakt-Erhabene«. Durch die spektakuläre Leihgabe des Mönch am Meer aus der Berliner Nationalgalerie ist es dem Besucher erstmals möglich, die Werke in der Hamburger Ausstellung gemeinsam zu betrachten – eine kunsthistorisch einzigartige Gelegenheit. Auf der anderen Seite findet sich die Malerei von Pierre Bonnard, dem berühmten modernen französischen Maler der Nabis-Schule, dessen Werk von der sinnlichen Farbenfreude des Mittelmeerraums durchflutet ist und das Bemühen der Moderne um die reine Farbwirkung verkörpert. Die ausgewählten Gemälde Bonnards machen deutlich, wie Rothko, der Bonnards Bilder in New York gesehen hatte, die Sensualität der mediterranen Malerei in seiner Farbfeldmalerei aufgreift.
Die Ausstellung endet mit einem Ausblick in die Traditionslinie der amerikanischen Gegenwartskunst und zeigt die späten Black and Gray Gemälde, die etwas von der Bodenlosigkeit und Bestürzung ahnen lassen, die Rothko spät im Leben empfand.
Kuratoren der Ausstellung sind Prof. Dr. Hubertus Gaßner und Oliver Wick, der schon für die wegweisende Rothko-Retrospektive 2001 in der Fondation Beyeler in Basel verantwortlich war.
Vor allem Dank des Engagements der beiden Kinder des Künstlers, Christopher Rothko und Kate Rothko Prizel, ist es der Hamburger Kunsthalle gelungen, diese Ausstellung zu organisieren und die Leihgaben aus aller Welt zu akquirieren.
Die Ausstellung war – in kleinerem Umfang und ohne die Arbeiten von Caspar David Friedrich und Pierre Bonnard – von Oktober 2007 bis Januar 2008 im Palazzo delle Esposizioni in Rom und von Februar bis April 2008 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München zu sehen.

Die Ausstellung wurde realisiert durch die Zusammenarbeit mit dem Partner der Hamburger Kunsthalle E.ON Hanse. Für weitere Unterstützung danken wir Hanjin Shipping und Terra Foundation for American Art.