Andrea Mantegna
Maria mit dem Christuskind, um 1460
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Andrea Mantegna

Maria mit dem Christuskind, um 1460

Andrea Mantegna

Maria mit dem Christuskind, um 1460

Andrea Mantegna hat seine Fresken und Gemälde auf recht unterschiedliche Weise vorbereitet. Neben schnell skizzierten Entwürfen gibt es Blätter, auf denen einzelne oder mehrere Figuren höchst detailliert angelegt worden sind.(Anm.1) Einen eigenen Typus bilden zwei mit Silberstift oder lavierter Tinte auf grau-grünem Grund ausgeführte Zeichnungen, die mit zahlreichen weißen dünnen Linien gehöht sind. Neben einem Blatt in Cambridge (Anm.2) handelt es sich dabei um die „Madonna mit dem Christuskind“, die zu den am meisten diskutierten Blättern des Hamburger Kabinetts zählt.
Sie wurde bereits um 1860 von Georg Ernst Harzen Andrea Mantegna zugeschrieben. Er sah in der Zeichnung einen Entwurf für den rechten Flügel des sogenannten Florentiner Triptychons, das der Mantuaner Hofkünstler möglicherweise um 1460 für die Kapelle des Mantuaner Kastells gemalt hatte und das sich heute in den Uffizien in Florenz befindet.(Anm.3) In der Folgezeit waren es zunächst Georg Koopmann 1891 und in den 1920/30er Jahren Gustav Pauli, Kenneth Clark und Arthur Ewart Popham, die Harzens Einschätzung teilten. Zweifel an dieser Zuweisung wurden bereits 1928 von Giglioli und 1930/31 von Fischel sowie 1937 von Fiocco geäußert. Hugo Chapman dachte an eine unter der Kontrolle des Meisters in der Werkstatt entstandene Arbeit.(Anm.4) Erika Tietze-Conrat zählte das Werk 1956 zu Mantegnas sogenannten Simile-Zeichnungen, den zeichnerischen Wiederholungen, die der Künstler nach eigenen Werken herzustellen pflegte. Sie dienten der Dokumentation, um später bei der Ausführung thematisch ähnlicher Bilder, wieder benutzt zu werden. Bernhard Degenhart sah wiederum in der Zeichnung eine kartonähnliche Vorstudie, die als Vorlage für eine Einzelfigur aus einem das ganze Bild erfassenden Gesamtkarton „durchgepulvert“ wurde. Diesem Argument widersprach 1992 David Ekserdjian, der darauf hinwies, dass bei neuen technischen Untersuchungen des Florentiner Gemäldes Spuren von schwarzer Kreide auf der Grundierung entdeckt worden seien. Diese setzten jedoch einen Karton voraus, durch dessen Perforierung die Kreidekonturen auf die Tafel gelangt seien. Das Hamburger Blatt zeigt jedoch weder eine Perforierung noch Kreidespuren. Lightbown 1986 und Wiemers 1996 schlugen vor, die Hamburger Zeichnung als „modello“ anzusehen. Hierfür spricht vor allem, dass der Entwurf sowohl im Format als auch in der Komposition weitgehend der später gemalten Version entspricht. Sehr ähnlich sind z. B. die jeweiligen Falten des Gewandes angelegt. Die erkennbaren Unterschiede sind marginal. Für eine Vorstudie spricht andererseits, dass es einige Details gibt, die gegenüber dem Gemälde unterschiedlich sind.(Anm.5) Von Interesse ist zudem, dass die Figur der Maria in der Ausführung etwas gelängt wurde.
Ein gewichtiges Argument für eine Zuschreibung an Mantegna ist die unbestreitbare Qualität des Blattes. Diese zeigt sich in einer sehr sicheren Pinseltechnik, die selbst feinste Linien differenziert darzustellen vermag. Sollte das Blatt in der Werkstatt entstanden sein, so ist dies nur durch einen hervorragenden Mitarbeiter unter Kontrolle des Meisters überhaupt vorstellbar.
Von besonderem Interesse ist, dass die erhaltenen Studien dieser Art lediglich einzelne Bildausschnitte aufweisen. Man kann daraus folgern, dass die einzelnen Figuren oder Gruppen jeweils nacheinander und unmittelbar vor der Arbeit am Gemälde zur präzisen Vorbereitung der plastischen Wirkung des ‚rilievo‘ ausgeführt wurden.(Anm.6) Voraussetzung dafür war sicherlich eine Übertragung der Konturen mittels einer perforierten Vorlage, wie sie sich in Einzelfällen erhalten hat.(Anm.7) Darüber hinaus dürfte Mantegna sicherlich einen größeren Karton gezeichnet haben, auf dem sämtliche Details ihren vorgeplanten Ort einnahmen.(Anm.8) Die genaue Vorbereitung macht deutlich, dass Mantegna bei der Umsetzung seiner Bildkonzepte nichts dem Zufall überlassen wollte.

David Klemm

1 Seltsamerweise hat sich kein Beispiel für eine genaue Werkzeichnung oder einen Karton erhalten, in dem der Künstler, sowohl Bildraum als auch Figuren zusammen vorplante. Vgl. Michael Wiemers: Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München, Berlin 1996, S. 173.
2 „Apostel bei der Himmelfahrt Christi“, um 1460. Cambridge/Mass., Harvard University Art Museum, Inv.-Nr. 1926.42.1; vgl. Ronald W. Lightbown: Mantegna, with a complete catalogue of the paintings, drawings and prints, Oxford 1986, S. 483, Nr. 182; Abb.; Michael Wiemers: Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München, Berlin 1996, S. 176.
3 Das Werk befand sich zu Harzens Zeit in der Tribuna in den Uffizien. Zum Altarwerk vgl. Ronald W. Lightbown: Mantegna, with a complete catalogue of the paintings, drawings and prints, Oxford 1986, S. 412–413.
4 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 17. 1. 2008.
5 Vgl. z. B. die Finger der rechten Hand von Christus, das Gesicht der Maria.
6 Michael Wiemers: Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München, Berlin 1996, S. 176.
7 Michael Wiemers: Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München, Berlin 1996, S. 178–179.
8 Ebd.

Details zu diesem Werk

Beschriftung

Auf dem Verso in der Mitte Stempel der Hamburger Kunsthalle (L. 1233)

Provenienz

Georg Ernst Harzen (1790-1863), Hamburg (L. 1244); NH Ad : 02 : 01, S. 215 (als Andrea Mantegna); NH Ad : 01 : 03, fol. 100 (als Andrea Mantegna): "Maria das Kind in den Armen haltend. Schön vollendeter Entwurf zur Epiphanias in der Tribuna zu Florenz, in Silberstift auf grünlich grundirtem Pap.; gehöht. 3.8. 10.6."; Legat Harzen 1863 an die "Städtische Gallerie" Hamburg; 1868 der Stadt übereignet für die 1869 eröffnete Kunsthalle

Bibliographie

David Klemm: Italienische Zeichnungen 1450-1800. Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle Kupferstichkabinett, Bd. 2, Köln u. a. 2009, S.227, Nr.309, Abb.Farbtafel S. 14

David Klemm: Von Leonardo bis Piranesi. Italienische Zeichnungen von 1450 bis 1800 aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, hrsg. von Hubertus Gaßner, David Klemm und Andreas Stolzenburg, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Bremen 2008, S.16-17, Abb, S. 217, Nr.2

Alberta de Nicolò Salmazo: Andrea Mantegna, Genf, Mailand 2004, S.263, Nr.1, Abb.

Petra Roettig, Annemarie Stefes, Andreas Stolzenburg: Von Dürer bis Goya. 100 Meisterzeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2001, S.12-13, Nr.1, Abb.

Eckhard Schaar, David Klemm: Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1997, S.96-97, Nr.33, Abb.12

Michael Wiemers: Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München, Berlin 1996, S.173-175, Abb.156

R. W. Lightbown: Andrea Mantegna, Oxford, Berkeley, Los Angeles 1992, S.482-482, Nr.18, Abb.

Andrea Mantegna, hrsg. von J. Martineau, Ausst.-Kat. London, Royal Academy, Mailand 1992, S.163, Nr.18, Abb.S. 164 (nach Mantegna)

J. M. Greenstein: Mantegna and painting as historical narrative, Chicago, London 1992, S.99-100, Nr.33, Abb.S. 12

Eckhard Schaar: Die gezeichnete Welt, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1977, S.o.S., Abb.

Hundert Meisterzeichnungen aus der Hamburger Kunsthalle 1500-1800, Bd. 5, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1967, S.20, Nr.2, Abb.Taf. 3

M. Bellonci, N. Garavaglia: L'opera completa del Mantegna, Mailand 1967, S.97, Nr.bei Nr. 34 C

Ettore Camescasa, Mantegna, Florenz 1964, S.108, Abb.Taf. XV

Andrea Mantegna, Ausst.-Kat. Mantua, Palazzo Ducale 1961, S.164, Nr.121, Abb.Nr. 139

Peter Halm, Bernhard Degenhart, Wolfgang Wegner: Hundert Meisterzeichnungen aus der Staatlichen Graphischen Sammlung München, München 1958, S.24, Nr.bei Nr. 8

[Wolf Stubbe]: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Ausstellung aus den Beständen des Kupferstichkabinetts, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 1957, S.12, Nr.30, Abb.Taf. 5

V. T. [nicht aufgelöst]: Amburgo: Mostra di disegni italiani dal XV al XVIII secolo, in: Emporium. Rivista mensile illustrata d'arte e di cultura 76, 1957, Nr. 126, S. 228-229, S.229

Erika Tietze-Conrat: Mantegna. Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche. Gesamtausgabe, Köln 1956, S.206 (als "simile", d. h. eigenhändige Nachzeichnung Mantegnas)

Agnes Mongan, Paul J. Sachs: Drawings in the Fogg Museum of Art. A critical Catalogue (...). Italian, German, Flemish, Dutch, French, Spanish, Miscellaneous Schools, Bd. 1 (Text), , Cambridge, Massachusetts 1946, S.19, Nr.bei Nr. 24

Giuseppe Fiocco: Mantegna, Mailand 1937, S.85

Arthur E. Popham: Zuschreibungsversuch einer Zeichnung als Mantegna, in: Old Master Drawings 6, 1931/32, , S.62, Abb.58

Oskar Fischel: Dreizehnte Veröffentlichung der Prestel-Gesellschaft: Zeichnungen italienischer Meister in der Kunsthalle zu Hamburg, in: Kunst und Künstler XXIX, 1930/31, S. 480, S.480

Arthur E. Popham: Italian Drawings exhibited at the Royal Academy, Ausst.-Kat. London, Royal Academy 1930, S.43, Nr.153, Abb.Taf. 132

Exhibition of Itallian Art 1200-1900, Ausst.-Kat. London, Royal Academy, London 1930, S.324, Nr.714

Odoardo H. Giglioli: [Anmerkungen zur Prestel-Mappe], in: Cronache d`Arte, 5, 1928, , S.262

Gustav Pauli: Zeichnungen Alter Meister in der Kunsthalle zu Hamburg. Italiener. Neue Folge, Frankfurt am Main 1927, Abb.Taf. 1

Wilhelm Koopmann: Einige weniger bekannte Handzeichnungen Raffaels, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstammlungen 12, 1891, S. 40-49, S.41